Werbung für Abtreibung: Ein Urteil heizt alte Debatten an

Gießen (dpa) - Das Thema Abtreibung ist in diesen Tagen in der deutschen Öffentlichkeit so präsent wie seit vielen Jahren nicht mehr. Auslöser ist der Strafprozess gegen die Ärztin Kristina Hänel, der im hessischen Gießen mit einem Schuldspruch zu Ende gegangen ist.

Weil sie unerlaubt Werbung für Abtreibungen gemacht hat, muss Hänel 6000 Euro zahlen. «Ich mache das nicht, damit Frauen zu mir kommen. Die kommen sowieso. Ich brauche das nicht», hat die 61-Jährige vor dem Prozess über ihre Motive gesagt. Am Tag des Urteils hält sich die Allgemeinärztin, die nach eigenen Angaben seit mehr als 30 Jahren Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, dagegen sehr bedeckt. Ihre Verteidigerin kündigt an, dass sie das Urteil mit Revision anfechtet.

An Hänels Stelle vertritt nicht nur eine Anwältin ihre Überzeugungen. Hunderte Sympathisanten - vor allem Frauen - bejubeln die Ärztin vor dem Amtsgerichtsgebäude in Gießen. Auf einem Plakat steht «Frauen haben ein Recht auf Information». Ein Schild weiter ist der umstrittene Strafgesetzbuch-Paragraf 219a durchgestrichen. Hänel wird lange und innig umarmt. Von Unterstützerinnen, von Politikerinnen, von einer Gynäkologin mit der Aufschrift in der Hand: «Ich bin Ärztin. Ich bin auch angeklagt, weil ich behandle und informiere.»

Im Gerichtssaal hingegen sieht es die Vorsitzende Richterin anders: «Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache.»

Doch auch wenn Hänel schuldig gesprochen wird, so hat sie eine Debatte entfacht, die schon oft da war, aber nun wieder richtig zu brennen scheint. Es ist die Debatte um den Körper der Frau, wer darüber bestimmen darf und wie ungeborenes Leben zu schützen ist.

Über Schwangerschaftsabbrüche sei schon in der Antike gestritten worden, sagt Georg Marckmann, Professor für Medizinethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. «Es ist ein grundsätzliches Menschheitsproblem.» Beim Schwangerschaftsabbruch gebe es einen zentralen ethischen Konflikt: zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und den Schutzverpflichtungen gegenüber dem ungeborenen Kind. Diese Konfliktsituation sei nicht auszuräumen, erklärt er.

Nun schwelt der Konflikt wieder, wie schon in den 1970er-Jahren, als es den Slogan «Mein Bauch gehört mir» gab und das berühmte «Stern»-Cover mit dem Titel «Wir haben abgetrieben!» und den Fotos zahlreicher prominenter Frauen wie Romy Schneider oder Senta Berger.

Seither damals hat sich in Deutschland aber viel verändert, vor allem die Zahl anzeigepflichtiger Abtreibungen. Seit 1996 gibt es eine einheitliche Statistik. Ende der 90er-Jahre erfasste das Statistische Bundesamt jährlich über 130 000 Abtreibungen. Ab 2001 gingen die Zahlen beständig zurück auf weniger als 99 000 im Jahr 2016. Lebend zur Welt kamen Ende 2016 und 20 Jahre zuvor etwa ähnlich viele Babys.

Während die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zurückzugehen scheint, flammt die Selbstbestimmungsdebatte seit einige Tagen voll auf. Die Unterstützung für Hänel ist dabei immens: die Ärztin selbst hat eine Online-Petition gestartet gegen den Paragrafen 219a, der nach Meinung von Kritikern nicht nur Werbung, sondern auch neutrale und sachliche Informationen verhindert. Zahl der Unterschriften kurz nach ihrer Verurteilung: über 115 000.

Vor dem Amtsgericht in Gießen fordert die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring, kurz vor Prozessbeginn die Streichung des Paragrafen. Ihre Fraktion habe einen Gesetzentwurf dazu eingebracht, sagt sie.

Der Staatsanwalt erläutert vor Gericht hingegen, warum er eben jenen Paragrafen für berechtigt hält. Ziel des Gesetzes sei es, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit nicht als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert werden. Buhrufe im Saal.

Die strittigen Textpassagen, die vor zwei Jahren auf Hänels Homepage erreichbar waren, bezeichnet der Staatsanwalt zwar als «seriöse und sachliche» Informationen, doch eben verknüpft mit einem Hinweis auf das eigene Honorar. «Die Werbung muss nicht reißerisch sein.»

Hänel hat derzeit viele Unterstützer, aber auch Gegner: seit langem wird ihr Name neben denen zahlreicher anderer Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, auf Internetseiten von Abtreibungsgegnern angeprangert. Auf einer Seite werden Schwangerschaftsabbrüche als «Steigerungsform» von Konzentrationslagern im Dritten Reich bezeichnet. Vor

dem Eingang des Gerichts tauchen nur zwei oder drei Kritiker auf. Während die Ärztin im Saal auf den Beginn des Prozesses wartet, hallen «Haut ab!»-Chöre, die unten gegen Hänels Kritiker angestimmt werden, hoch.

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Paragraf 219a
Prozesse / Medizin / Gesundheit / Gesellschaft / Hessen
24.11.2017 · 16:30 Uhr
[33 Kommentare]
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