„Scheuen keine schweren Aufgaben“: Piraten wollen in den Bundestag
Vor fünf Jahren befand sich die Piratenpartei noch auf einem Umfragehoch. Nun muss sie kämpfen, um überhaupt für die Bundestagwahl zugelassen zu werden. Dabei fehlt im Bundestag eine Partei, die für die Wahrung der Freiheit eintritt, meint Anja Hirschel. Sie ist Spitzenkandidatin der Piraten und hat mit finanzen.de darüber gesprochen, warum Bürger der Partei ihre Stimme geben sollten.
Die Piratenpartei hat sich für die Bundestagswahl viel vorgenommen. Auch wenn sie in Umfragen kaum mehr eine Rolle spielt, will die Partei in den Bundestag einziehen. Um für die Wahl zugelassen zu werden, braucht sie jedoch Unterstützungsunterschriften. Diesen Umweg müssen die Piraten gehen, da sie in keinem Landtag mehr vertreten ist.
Doch warum sollten sich Wähler für eine Partei entscheiden, in den letzten Monaten jedoch kaum noch in Erscheinung getreten ist? "Wir möchten nicht weniger, als die Politik zu den Menschen zurückholen und demokratische Entscheidungen neu beleben", erklärt Anja Hirschel, die zusammen mit Sebastian Alscher und René Pickert das Spitzentrio der Piraten stellt, im Interview mit finanzen.de.
Frau Hirschel, wie zuversichtlich sind Sie, dass Ihnen der Einzug in den Bundestag gelingen wird? Mit welchem Ergebnis wären Sie zufrieden?
Anja Hirschel: Aktuell sind wir als außerparlamentarische Opposition sehr aktiv, sehen aber auch klar die Grenzen dessen, was wir dadurch erreichen können. Da wir aktiv gestalten möchten, ist der Einzug in den Bundestag das Ziel, das wir vor Augen haben, für das wir kämpfen, und mit dem wir zufrieden wären.
Dass dies nicht einfach ist, ist uns bewusst, aber wir Piraten scheuen keine schweren Aufgaben. Denn die Themen, für die wir uns einsetzen, sind aktueller denn je. Es zeigt sich immer mehr, dass es eine Partei im Bundestag geben muss, deren Kompetenz die Wahrung der Freiheit ist, das Warnen vor versteckter Zensur und einer echten Expertise im Digitalen. Das sind wir Piraten.
Warum sollten sich Wähler für die Piratenpartei entscheiden?
Anja Hirschel: Es mag zunächst überraschen: Grundlage all unserer Bestrebungen ist der Mensch. Dies bedeutet zum Beispiel in unserer Kernkompetenz, dem Digitalen, dass Zukunftstechnologien zur Verbesserung der Lebensbedingungen konsequent eingesetzt werden müssen. Wir scheuen uns nicht, alte Denkmuster zu durchbrechen und auch unkonventionelle Lösungen faktenbasiert zu überprüfen. Durch unsere flexible Arbeitsweise mit offenen Expertengruppen sind wir in der Lage und willens, komplexe Themen gründlich und strukturiert anzugehen, ohne das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren.
Wir geben unter anderem der Pflege eine Stimme, setzen uns für gleiche Bildungschancen ein und erarbeiten Konzepte für nachhaltige Mobilität. Der notwendige Umbau der Sozialsysteme und Rentenkassen zur Vermeidung von Armut ist dabei genauso Thema wie die Analyse von BGE-Modellen (bedingungsloses Grundeinkommen). Das sind alles Ziele, die einen langen Atem erfordern, die für die Gesellschaft aber angegangen werden müssen.
Ganz unabhängig von unserem Programm sind wir diejenigen, die für eine neue und transparente Politik kämpfen. Wir möchten nicht weniger, als die Politik zu den Menschen zurückholen und demokratische Entscheidungen neu beleben. Demokratie ist mehr, als nur ein Kreuz abzugeben oder sich zwischen zwei Kandidaten zu entscheiden.
Die Partei hat bereits ein breit aufgestelltes Bundestagswahlprogramm beschlossen. Welche drei Themen liegen Ihnen dabei besonders am Herzen?
Anja Hirschel: Zunächst ist natürlich der Datenschutz als unabdingbare Grundlage für die Freiheit für mich sehr wichtig. Dies beinhaltet auch Aspekte der IT-Sicherheit und des Verbraucherschutzes.
Der nächste große Punkt ist der Umbau der Verwaltung und Politik hin zu Transparenz, Effizienz und Bürgerfreundlichkeit sowie -mitbestimmung durch den Einsatz zeitgemäßer digitaler Technologien.
Als Drittes ist dies für mich der Umweltschutz. Dies beinhaltet verschiedene Aspekte von Energieerzeugung bis Landwirtschaft: So werden mir als Imkerin beispielsweise die Auswirkungen von Umweltgiften direkt und drastisch vor Augen geführt. Auch Fracking gehört zu den nicht verhandelbaren Punkten, die ich in keiner Form akzeptieren kann. Wir haben die Technologien für eine saubere Zukunft und müssen diese dringend fördern.
Eines Ihrer Kernthemen ist der Datenschutz. Hat sich dieser Ihrer Meinung nach in Deutschland in den letzten vier Jahren verbessert oder verschlechtert?
Anja Hirschel: Leider muss ich feststellen, dass in dem Bereich eine deutliche Verschiebung stattgefunden hat. Der Datenschutz wird zum Wirtschaftshemmnis stilisiert und mit einem Anrecht auf die wirtschaftliche Nutzung von Daten als "Rohstoff" begründet. Der Verbraucherschutz wird dabei beschnitten, ohne gleichzeitig für den Ausbau der IT-Sicherheit zu sorgen.
Zusätzlich wurde die Überwachung sowohl im öffentlichen Raum als auch im Netz massiv erhöht. Die europäische Datenschutzgrundverordnung dient zum Schutz der Bürger. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass die nationalen Richtlinienkompetenzen nicht dafür missbraucht werden, diesen Schutzmechanismus auszuhöhlen.
Gesetze können die Daten der Bürgerinnen und Bürger besser vor dem Zugriff Dritter schützen. Doch insbesondere in Zeiten, in denen jeder nahezu überall rund um die Uhr online sein kann, ist es wichtig, dass sich jeder Mensch auch selbst vor Datenmissbrauch schützt. Welche Tipps haben Sie diesbezüglich für unsere Leser?
Anja Hirschel: Zunächst ist es wichtig, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass Daten einen realen Wert darstellen. Es empfiehlt sich also immer, genau darauf zu achten, wem welche persönlichen Informationen anvertraut werden. Zusätzlich müssen geeignete Maßnahmen zur IT-Sicherheit getroffen werden.
Technisch gesehen sind ganz einfache und schnell umzusetzende Maßnahmen, dass zum Beispiel Suchmaschinen ohne Tracking gewählt und in den Browsereinstellungen Skripte und Werbebanner eingeschränkt werden. Zudem muss für die Kommunikation sowohl per Mail und via Messenger-Dienste als auch bei mobilen Datenträgern Verschlüsselung zum Standard werden. Stets aktuelle Sicherheitsupdates zu installieren und Datensicherungen anzufertigen, muss sowieso selbstverständlich sein, nicht erst seit dem Computervirus WannaCry.
Vielen Dank für das Interview, Frau Hirschel!