Ringen um einen Friedensplan

Schicksalstage für die Ukraine: Was kann Europa tun?

23. November 2025, 18:51 Uhr · Quelle: dpa
G20-Gipfel in Südafrika
Foto: Thomas Mukoya/Pool Reuters/AP/dpa
Keine erzwungene Kapitulation: Der französische Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Friedrich Merz wollen versuchen, das Schlimmste zu verhindern.
US-Präsident Trump präsentiert einen neuen Friedensplan für die Ukraine, der europäische Verbündete besorgt. Nun verhandeln sie über Änderungen, um Sicherheit und Souveränität zu wahren.

Johannesburg (dpa) - Mit seinem neuen Ukraine-Friedensplan hat US-Präsident Donald Trump seine europäischen Verbündeten in Alarmstimmung versetzt. Beim G20-Gipfel in Johannesburg haben sich die Europäer am Wochenende sortiert. In den nächsten Tagen wird es für sie nun unter massivem Zeitdruck darum gehen, das Ganze doch noch in eine Bahn zu lenken, die für sie und die von Russland angegriffene Ukraine akzeptabel ist. 

«Kriege können nicht beendet werden durch Großmächte über die Köpfe der beteiligten Länder hinweg», gab Bundeskanzler Friedrich Merz als Losung für den Verhandlungsprozess aus.

Welche Punkte sind für die Europäer inakzeptabel?

Trumps Plan hat 28 Punkte, viele davon sind für die Europäer inakzeptabel, weil damit aus ihrer Sicht der Aggressor Russland belohnt würde. Einige meinen, in Teilen komme der Plan einer Kapitulation gleich. Um diese Punkte geht es vor allem:

  • Die Ukraine soll akzeptieren, dass ein erheblicher Teil ihres Staatsgebiets künftig zu Russland gehört - dabei geht es sogar um Gebiete, die bislang nicht von den russischen Streitkräften erobert wurden.
  • Die Ukraine soll einwilligen, dass ihre Streitkräfte auf 600.000 Soldaten begrenzt werden.
  • Russland soll für Kriegsverbrechen keine Bestrafung fürchten müssen.
  • Russland soll eine Wiederaufnahme in die Gruppe der großen Industrienationen zugesichert werden. Aus der G7 würde wieder die G8.
  • Die Nato soll nicht nur auf die Aufnahme der Ukraine, sondern auch auf die Aufnahme anderer neuer Mitglieder verzichten.

Was stört die Europäer noch?

Dass die USA selbst Profit aus einem Friedensschluss schlagen wollen. Nach den Vorstellungen Trumps sollen in der EU eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank so in den Wiederaufbau der Ukraine investiert werden, dass davon maßgeblich auch US-Unternehmen profitieren.

Mit welchen Punkten können die Europäer etwas anfangen?

Es gibt einige Ansätze, die als konstruktiv angesehen werden. So soll festgelegt werden, dass die Ukraine ihre von Russland infrage gestellte Souveränität behält und umfangreiche Sicherheitsgarantien und Hilfe beim Wiederaufbau bekommt. Aus europäischer Sicht sind allerdings vor allen die Sicherheitsgarantien bislang nicht so ausformuliert, dass sie Russland dauerhaft und wirksam von einem erneuten Angriff abschrecken würden. 

Warum ist die EU unmittelbar vom Ukraine-Krieg betroffen?

Die EU-Staaten vertreten ziemlich einhellig die Auffassung, dass in der Ukraine auch ihre eigene Sicherheit verteidigt wird. Gibt man den russischen Angreifern in der Ukraine nach, dann könnten andere europäische Staaten als Nächstes angegriffen werden. Vor allem die baltischen Staaten und Polen fühlen sich unmittelbar bedroht. «Wenn die Ukraine diesen Krieg verlieren sollte und möglicherweise kollabiert, dann hat das Auswirkungen auf die gesamte europäische Politik, auf den gesamten europäischen Kontinent», sagt Merz.

Mit welcher Begründung fordern die Europäer eine Einbindung? 

Unter anderem damit, dass einige Punkte sie ganz unmittelbar betreffen, zum Beispiel das Nein zu einer Nato-Mitgliedschaft, die Verwendung des eingefrorenen russischen Vermögens oder die Rückkehr zu einer G8 mit Russland.

Wie gehen die Europäer nun vor?

Als Reaktion auf den Friedensplan haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien «Änderungsvorschläge» erarbeitet. Öffentlich kommuniziert wurden sie bisher nicht, sie werden aber als sehr weitgehend beschrieben. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen soll es unter anderem um weitere Sicherheitsgarantien und den Punkt der Gebietsabtretungen an Russland gehen. Die Europäer wollen ihre Ideen explizit nicht als «Gegenvorschlag» verstanden wissen, um die Amerikaner nicht von vorneherein zu verprellen. Ziel ist eine gemeinsame Lösung, mit der alle leben können.

Was ist beim G20-Gipfel passiert?

Dort haben sich die dort anwesenden Europäer getroffen, um sich abzustimmen - allen voran die G7-Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Auch Japan und Kanada wurden eingeladen. Es wurden quasi alle zusammengetrommelt, die die Ukraine in der entscheidenden Phase des Abwehrkampfes gegen Russland nicht im Stich lassen wollen.

Welche Bedeutung hat das Berater-Treffen in Genf?

Es ist die erste direkte Kontaktaufnahme zwischen den USA, der Ukraine und den Europäern zu dem Friedensplan. Für die USA ist Außenminister Marco Rubio dabei, für die Ukraine Präsidentenberater Andrij Jermak und für Deutschland flog Kanzlerberater Günter Sautter von Johannesburg in die Schweiz. Daneben sind Vertreter von Frankreich, Großbritannien, Italien und der EU dabei. Die Runde sollte ausloten, was auf der Grundlage des Friedensplans machbar ist. Die Ergebnisse des Treffens sollen der Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen in den nächsten Tagen sein.

Wie gut sind die Karten der Europäer?

Sie haben kaum Druckmittel in der Hand. Die Alternative zu einem schnellen Friedensschluss ist eine Fortsetzung des Krieges, bei dem die Europäer die Ukraine möglicherweise alleine ohne die USA unterstützen müssen. Etliche europäische Spitzenpolitiker geben mehr oder weniger offen zu, dass das mittel- bis langfristig kaum zu leisten ist. So gelten zum Beispiel amerikanische Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot auf absehbare Zeit als unverzichtbar, um den ukrainischen Luftraum gegen russische Drohnen und Raketenangriffe zu verteidigen. Ähnliches gilt für die US-Geheimdienstinformationen und weitreichende Raketenwerfer.

Welches Problem haben die Europäer noch?

Außerdem sind viele Staats- und Regierungschefs zu Hause mit kriegsmüden Wählerinnen und Wählern konfrontiert, die die kostspielige Unterstützung für die Ukraine mehr und mehr infrage stellen. Innerhalb der EU können weitreichende Pläne für mehr Unterstützung für die Ukraine schon heute nicht mehr durchgesetzt werden, weil sie Einstimmigkeit erfordern und von Ländern wie Ungarn und der Slowakei blockiert werden. Aktuell wird darum gerungen, das in der EU eingefrorene Milliarden-Vermögen der russischen Staatsbank für die militärische Hilfe der Ukraine zu nutzen.

Was macht den Europäern Hoffnung?

Die Erfahrungen mit der letzten Friedensinitiative Trumps. Damals hatte es nach dem persönlichen Treffen von Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin in Alaska schon die Befürchtung gegeben, dass der Ukraine eine Zustimmung zu einem Friedensvertrag aufgezwungen wird. Die Europäer schafften es dann aber, Trump zu einem Umdenken zu bringen. Ein geplantes zweites Treffen mit Putin kam nicht zustande. Stattdessen ließ Trump sogar neue Sanktionen gegen russische Energieunternehmen verhängen. 

Wie verhandlungsbereit sind die Amerikaner jetzt?

Es gibt Signale, dass sie für Änderungen offen sind. Am Samstagabend verneinte Trump in Washington die Frage einer Reporterin, ob sein Friedensplan denn nun das letzte Angebot sei. 

Bis wann will Trump zu einer Einigung kommen?

Er hat eine Frist bis Donnerstag gesetzt. In den USA ist dann Thanksgiving, einer der wichtigsten Festtage des Landes. Es gibt Spekulationen darüber, dass Trump bereits konkrete Pläne für eine Unterzeichnungszeremonie in den USA hat. 

Ist das zu schaffen?

Merz glaubt nicht so recht daran. «Vielleicht können wir weiterkommen, aber ich bin unverändert skeptisch, dass das in der Kürze der Zeit kommt», sagt er.

Kann es dann zumindest zu einem ersten Schritt kommen?

So stellt sich der Kanzler das vor. «Ich habe noch einmal einen weiteren Vorschlag gemacht, der sozusagen unterhalb der kompletten Lösung bleibt», sagte er überraschend bei einer Pressekonferenz zum G20-Gipfel. Die Einzelheiten nannte er aber noch nicht. Kurz darauf wurde aus seinem Umfeld klargestellt, dass es nicht sein persönlicher Vorschlag sei, sondern es eine «inzwischen abgestimmte» Verhandlungsposition der Europäer und der Ukraine gebe. Diese Position sei nun Gegenstand der Gespräche mit den USA.

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