Schicksalsstunden für Tsipras-Regierung - und für ihre Gegner

Athen (dpa) - Griechenland am Scheideweg: Für Verhandlungen mit den Europartnern über ein drittes Hilfspaket sind neue Spar- und Reformgesetze die Bedingung. Die Zeit drängt, das hoch verschuldete Land steht kurz vor der Pleite.

Eine Parlamentsmehrheit in Athen galt vor der geplanten Abstimmung am späten Mittwochabend zwar als sicher. Es wurde aber damit gerechnet, dass es zahlreiche Abweichler unter den Abgeordneten der Regierungspartei Syriza geben wird.

Ministerpräsident Alexis Tsipras soll den Abgeordneten seiner Partei mit Rücktritt gedroht haben, sollten sie gegen das Sparprogramm stimmen. Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten tausende Menschen gegen die Auflagen, es kam zu Ausschreitungen von Autonomen.

Die Debatte im Parlament begann am Abend mit Verspätung. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung in Athen wurde gegen Mitternacht (Ortszeit) erwartet. Innerhalb der linken und rechten Koalitionsparteien gab es Widerstand. Es wurde damit gerechnet, dass es zahlreiche Abweichler unter den Abgeordneten der Regierungspartei Syriza oder sogar aus den Reihen des rechtspopulistischen Koalitionspartners - der Unabhängigen Griechen (Anel) - geben wird.

Tsipras' Koalitionsregierung hat 162 Abgeordnete im Parlament mit 300 Sitzen. Syriza verfügt über 149 Sitze, der Koalitionspartner über 13. Allein zwölf Abweichler würden zum Verlust der Regierungsmehrheit führen.

Die Fraktionen der konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Opposition hatten aber ihre Zustimmung angekündigt und die Gemengelage damit etwas entschärft. 

Tsipras soll zuvor noch einmal den Druck auf die Abgeordneten seiner Partei erhöht haben. «Wenn ich eure Unterstützung nicht habe, dann wird es für mich schwierig sein, (auch) morgen Regierungschef zu bleiben», zitierten ihn übereinstimmend griechische Medien. Vize-Finanzministerin Nadja Valavani hatte bereits aus Protest gegen die harten Einschnitte Konsequenzen gezogen: «Alexis, ich kann nicht mehr weitermachen», schrieb sie in einem Rücktrittsbrief an Tsipras.

Beobachter rechneten damit, dass Tsipras andere Regierungsmitglieder entlassen könnte, die gegen das Reformpaket stimmen. Als Kandidat hierfür galt etwa Energieminister Panagiotis Lafazanis vom linken Syriza-Flügel.

Die Euro-Länderchefs hatten sich am Montagmorgen nach hartem, mehr als 17-stündigem Ringen auf Bedingungen für das Hilfspaket verständigt. Der Umfang der weiteren Hilfe für Athen könnte bis zu 86 Milliarden Euro umfassen, wenn die Bedingungen vorher erfüllt werden.

Das vier Milliarden Euro schwere Sparpaket, für das sich Tsipras trotz eigener Vorbehalte am Dienstagabend in einem TV-Interview stark gemacht hatte, umfasst vor allem höhere Mehrwertsteuern und Zusatzabgaben für Freiberufler sowie Besitzer von Luxusautos, Häusern und Jachten. Ebenfalls enthalten: ein nahezu vollständiger Stopp aller Frühverrentungen.

Über das neue Hilfspaket müssen zuvor noch mehrere Parlamente in anderen Euroländern abstimmen. In Deutschland ist sogar die Zustimmung des Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen nötig. Das Parlament stimmt voraussichtlich am Freitag darüber ab.

In Frankreich sprachen sich Nationalversammlung und Senat am Mittwoch jeweils mit großer Mehrheit für den in Brüssel vereinbarten Plan der Eurostaaten aus. Es war damit das erste Parlament, das dem Deal seinen Segen gab. Die Abstimmung war anders als in Deutschland keine Pflicht für den Beginn der Verhandlungen, sondern auf Wunsch der sozialistischen Regierung angesetzt worden.

In der Nationalversammlung stimmten 412 Abgeordnete für die Erklärung von Premierminister Manuel Valls, 69 waren dagegen. 49 Abgeordnete enthielten sich. Auch die konservative Opposition stellte sich zum Großteil hinter das Verhandlungsergebnis des Euro-Gipfels, übte aber scharfe Kritik am Vorgehen des griechischen Ministerpräsidenten. «Diese Einigung ist kein Blankoscheck», beteuerte Valls.

Um Athens laufenden Finanzbedarf bis zum Start eines möglichen ESM-Programms zu decken, schlug die EU-Kommission einen Überbrückungskredit vor. Diese kurzfristige Nothilfe in Höhe von sieben Milliarden Euro soll eine Laufzeit von drei Monaten haben und aus einem schon länger bestehenden Rettungstopf aller EU-Staaten (EFSM) kommen. Weil sich einige Beitraggeber wie Großbritannien, Schweden und Tschechien «große Sorgen» um ihr Geld machen, verhandelt die EU-Kommission nach eigenen Angaben noch über Garantien für einen möglichen Zahlungsausfall.

Bis Mitte August benötigt Griechenland rund zwölf Milliarden Euro, um laufende Rechnungen zu begleichen und fällige Kredite abzulösen. Schon am Montag muss Athen 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zahlen, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die Regierung ohnehin schon im Zahlungsrückstand. Ohne Rückzahlung müsste die EZB ihre Notkredite für Griechenlands Banken einstellen, das labile Finanzsystem des Landes würde dann wohl endgültig kollabieren.

Finanzen / EU / Parlament / Griechenland
15.07.2015 · 22:43 Uhr
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