Forschung soll Hinweise geben zur Kontamination der Kabinenluft von Flugzeugen – Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA)
Hamburg, 30.01.2023 (PresseBox) - Mit Unterstützung der Europäischen Kommission hat die EASA das neue Forschungsprojekt "Cabin Air Quality Assessment of Long-Term Effects of Contaminants" (Bewertung der Kabinenluftqualität im Hinblick auf Langzeitwirkungen von Schadstoffen) ins Leben gerufen. Ziel ist, zusätzliche wissenschaftlich fundierte Daten über Cabin Air Contamination Events (CACE) zu gewinnen. Damit soll die Grundlage für eine umfassendere Bewertung von Gesundheitsrisiken geschaffen werden. Über erste Ergebnisse wurde in einem Workshop bei der EASA im Januar 2023 berichtet. Tierversuche sollen zur Bewertung von Fume Events durchgeführt werden. Mäuse sollen Öldämpfen ausgesetzt und deren Reaktion darauf gemessen werden. Die Mäuse müssen an 5 Tagen pro Woche über 4 Wochen bis zu 4 Stunden am Tag Luft einatmen, die mit pyrolisiertem Triebwerksöl kontaminiert wird. Über die Habersche Regel soll dies vergleichbar sein mit der Situation von Crews, die der Kabinenluft mit geringerer Konzentration der Schadstoffe ausgesetzt sind, aber dafür über die lange Zeit des ganzen Arbeitslebens.
Seit den 1950er Jahren
Arbeitsgruppen aus Industrie und Militär
Die Reaktion der Industrie verlagerte sich
Selbst der von der EASA finanzierte Bericht zur Kabinenluftqualität aus dem Jahr 2017 zeigt veraltetes Denken und Voreingenommenheit gegenüber der Gültigkeit von Berichten der Besatzung: "Um die fehlgeleitete Diskussion über die Kabinenluftqualität ein für alle Mal zu beenden, wird eine Studie benötigt in der Personen systematisch der Kabinenluft im Flugzeug ausgesetzt werden." (Mehr Details und Quellenangaben zu dieser historischen Einleitung in einem Vortrag: https://doi.org/10.5281/zenodo.7574569).
Ein erster "EASA Workshop on Future Cabin Air Quality Research" fand in Köln im Jahr 2020 statt. Hier hatten alle Interessenvertreter die Möglichkeit sich mit einer Präsentation in die Diskussion einzubringen. Die Präsentationen sind bei der EASA abgelegt.
Im Jahr 2023 melden Besatzungen weiterhin Fume Events, Krankheit und die Gefährdung der Flugsicherheit. In 60 Jahren ist leider sehr wenig erreicht worden. Bisher existiert nur ein Flugzeugtyp mit zapfluftfreier Frischluftversorgung (die Boeing 787). Es werden weiterhin keine Filter eingesetzt für die Zapfluft aus den Triebwerken (es gibt nur eine Option für das Cockpit der B757). Es gibt keine Sensoren, um die Besatzungen vor Öldämpfen zu warnen. Es gibt nur sehr begrenzte Schulungen für Besatzungen, um Fume Events zu erkennen und auf sie zu reagieren. Es gibt noch kein standardisiertes Fume-Event-Meldesystem.
Das neue Forschungsprojekt der EASA trägt den Titel "Cabin Air Quality Assessment of Long-Term Effects of Contaminants". Kurz: CAQ III. Hier die Ausschreibung. Nach einem Jahr der Projektlaufzeit wurde im Januar 2023 im "EASA Cabin Air Quality Research Workshop" in Köln über erste Ergebnisse und den geplanten weiteren Verlauf berichtet. Hier die Einladung.
Vorgänger zu CAQ III sind diese EASA-Projekte:
- EASA, 2017: CAQ – Preliminary Cabin Air Quality Measurement Campaign.
- EASA, 2017: AVOIL – Characterisation of the Toxicity of Aviation Turbine Engine Oils after Pyrolysis.
- EASA hatte 2016 bereits das Projekt FACTS (FRESHAIRCRAFT) gestartet (https://facts.aero). Das Projekt ist ohne Ergebnis beendet worden. Das erste Teilergebnis, eine kurze Literaturstudie, wurde von der Seite im Internet genommen (404-Fehler) kann aber über das Internet Archive bezogen werden. In FACTS wurden keine Tierversuche gemacht. Es wurden aber In-Vitro-Analysen mit isolierten Zellen und kontaminierter Luft durchgeführt. Ergebnis: Triebwerksöl konnte in fast allen Proben bei hoher Konzentration der Dämpfe die Zellen schädigen. Hydrauliköl ist stärker toxisch als Triebwerksöl.
CAQIII, Arbeitspaket 1: Hier geht es u.a. um eine Literaturrecherche zur Gesundheitsgefährdung und den Symptomen von Flugpersonal oder Passagieren bei wahrgenommenen Verunreinigungen der Kabinenluft. Erwähnt wurde eine Veröffentlichung aus dem WHO Journal "Public Health Panorama". Eigene Studien zum Gesundheitszustand von Flugpersonal sind in CAQIII nicht vorgesehen.
CAQIII, Arbeitspaket 2
CAQIII, Arbeitspaket 3
CAQIII, Arbeitspaket 4: Es wurden die Luftkanäle von drei Flugzeugen des Typs Airbus A320 untersucht. Die Luftkanäle sind innen schwarz. Aus den Luftkanälen wurden über 100 Proben entnommen. Alle Proben wurden zur Analyse im Rahmen von CAQIII an das National Research Centre for the Working Environment (NRCWE) in Kopenhagen übermittelt. HEPA-Filter aus dem Flugbetrieb bei der Lufthansa werden auf Verunreinigungen überprüft. Bei Airbus wird einem Flugzeug Triebwerksöl am Boden zugegeben und danach die HEPA-Filter untersucht. Aus dem BACS (siehe Arbeitspaket 2) wird kontaminierte Triebwerkszapfluft auf HEPA-Filter geführt.
Eine unabhängige Darstellung der Zustände der Luftkanäle und Komponenten der Klimaanlage in einem Airbus A320 ist in der Veröffentlichung "Routes of Aircraft Cabin Air Contamination from Engine Oil, Hydraulic and Deicing Fluid" enthalten (https://doi.org/10.13111/2066-8201.2022.14.1.13). Bisher wurde in der fachlichen Diskussion noch von der Annahme ausgegangen, dass sich das Triebwerksöl und die Hydaulikflüssigkeit in geschlossenen Systemen befindet. Heute wird akzeptiert, dass diese Flüssigkeiten einen Weg in Kabine und Cockpit finden. Entsprechend muss der Frage nachgegangen werden, welche Wirkungen diese Stoffe dort entfalten.
Auch andere Organisationen waren in den letzten Jahren zum Thema aktiv
Die Berufsgenossenschaft Verkehr (BG Verkehr) hat zwei Studien zu Fume- and Smell-Events (FUSE) durchführen lassen. Die Ergebnisse beider Studien liegen jetzt vor. Die wissenschaftliche Veröffentlichung steht noch aus. Hintergrund: Im Jahr 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, wurden der BG Verkehr 524 solcher Fume- and Smell-Events gemeldet. In den Coronajahren 2020 bzw. 2021 waren es 118 beziehungsweise 47 Fälle.
FUSE können bei betroffenen Crewmitgliedern akute körperliche Beschwerden auslösen
klagen einige Crewmitglieder auch über teils schwere und anhaltende Beschwerden
Im Rahmen der FUSE-II-Studie wurden den betroffenen Crews nach der Landung an flughafennahen Kliniken Blut- und Urinproben abgenommen, um in diesen unter anderem VOC und deren Stoffwechselprodukte zu analysieren. Insgesamt beteiligten sich 375 Betroffene an diesem Biomonitoring. Die ermittelten Werte wurden mit denen einer Kontrollgruppe von 86 Personen aus der Allgemeinbevölkerung verglichen. "Die Ergebnisse lassen keine toxikologisch relevanten Expositionen durch VOC im Rahmen von FUSE erkennen" berichtet die BG Verkehr.
Die jetzige Studie schloss sich an eine vorherige Studie (FUSE-I) an. In der FUSE-I-Studie wurden mehr als 300 Urinproben von Crewmitgliedern mit selbst berichteten FUSE auf andere potenziell neurotoxische Substanzen untersucht. Dazu gehörten vor allem Gefahrstoffe aus der Gruppe der Organophosphate. Gesundheitsgefährdende Konzentrationen an diesen Stoffen im Urin konnten nicht gefunden werden.
Im "FAA Reauthorization Act of 2018" wurde die Federal Aviation Administration der USA mit "SEC. 326. Aircraft Air Quality" angewiesen, Forschungsprojekte in Auftrag zu geben.
(1) Es sollen Schadstoffkonzentrationen in der Zapfluft und in Kabinen von Verkehrsflugzeugen gemessen werden.
(2) Es sollen mögliche gesundheitliche Auswirkungen solcher Schadstoffkonzentrationen auf Passagiere, Kabinen- und Cockpitpersonal bewertet werden.
(3) Es sollen Technologien identifiziert werden, die geeignet sind, vor Zapfluftkontamination zu warnen. Es sollen Technologien identifiziert werden zur effektiven Überwachung der Luftversorgungssysteme des Flugzeugs im Flug.
(4) Es sollen Techniken zur Vermeidung von Fume Events identifiziert werden.
Beauftragt von der FAA evaluiert die Kansas State University 40 verschiedene Arten von Sensoren, die hinter einem Triebwerk in der Zapfluft angeordnet wurden. Gemessen werden u.a. ultrafeine Partikel (Ultra Fine Particles, UFP), flüchtige organische Verbindungen (Volatile Organic Compounds, VOC), Formaldehyd (CH2O), Kohlenstoffmonoxid (CO) und Kohlenstoffdioxid (CO2). UFP scheinen ein hilfreicher Parameter zur Bewertung der Zapfluft zu sein.
ANSES ist die französische Agentur für Lebensmittel-, Umwelt- und Arbeitsschutz, die den Ministerien für Gesundheit, Umwelt, Landwirtschaft, Arbeit und Verbraucherangelegenheiten unterstellt ist. Der Französische Demokratische Gewerkschaftsbund (CFDT) mit Unterstützung der Gewerkschaft der Airline Pilots (SPL), die nationale Gewerkschaft des Flugpersonals (SNPNC), die Gewerkschaft der Piloten nationaler Fluggesellschaften (SNPL) und der Vereinigung der Opfer des aerotoxischen Syndroms (AVSA). AVSA bat ANSES in 2019, die beobachteten akuten oder längerfristigen Erkrankungen nach Fume Events zu untersuchen. ANSES führt eine Metastudie durch bestehend aus Literaturrecherche und Experteninterviews. Drei Aufgaben sollen bearbeitet werden:
- Beschreiben des Erkenntnisstandes zur Luftverschmutzung in Flugzeugkabinen,
- Ermittlung der Auswirkungen der Luftverschmutzung auf den Gesundheitszustand der Besatzung,
- Abfrage der institutionellen Empfehlungen und der Maßnahmen zur Prävention bei den Behörden der jeweiligen Länder (EASA, FAA, CAA, ...).
Die Situation kann mit den Worten von Sven Schuchardt, Fraunhofer ITEM (Projektmanagement CAQIII) auf den Punkt gebracht werden: "We cannot change the system. It is what it is."