Steinmeier knöpft sich Parteien vor

Berlin (dpa) - Nach dem Scheitern der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Initiative übernommen.

Heute traf er die Parteichefs von Grünen und FDP, um sich über die Gründe für den Abbruch der Verhandlungen mit der Union zu informieren. In den nächsten Tagen spricht er auch mit den Spitzen von CSU und SPD, um vielleicht doch noch einen Ausweg aus der politischen Sackgasse zu finden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rief die Parteien zu Kompromissbereitschaft auf.

Es gebe in Deutschland derzeit eine außergewöhnliche Situation, sagte Schäuble (CDU) im Parlament. «Es ist eine Bewährungsprobe, aber es ist keine Staatskrise.» Zu Beginn der Bundestagswoche in Berlin betonte er: «Mit der Wahl hat das Volk entschieden, damit müssen wir als Gewählte nun umgehen, verantwortlich umgehen.» Der CDU-Politiker betonte: «Klar ist, dass regiert werden muss.» Kompromisse und Mehrheitsentscheidungen gingen aber nicht im Hauruckverfahren.

Schon am Montag hatte Steinmeier die Parteien aufgerufen, dem Wählerauftrag gerecht zu werden. «Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält», sagte er nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Von den Gesprächen mit den Grünen-Parteichefs Simone Peter und Cem Özdemir sowie mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner wurden keine Einzelheiten bekannt. Nach einem Treffen mit CSU-Chef Horst Seehofer am Mittwoch kommt Steinmeier am Donnerstag auch mit dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz zusammen. Auch die Präsidenten von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht will er in den nächsten Tagen sprechen und dabei Möglichkeiten ausloten, doch noch zu einer neuen Regierung zu kommen.

Möglich wäre, dass die FDP an den Verhandlungstisch zurückkehrt, oder die SPD sich Gesprächen über eine große Koalition mit der Union doch noch öffnet. Denkbar ist auch eine Minderheitsregierung. Andernfalls käme es zu Neuwahlen. Die Entscheidung darüber trifft Steinmeier nach Artikel 63 des Grundgesetzes.

Aus der SPD-Bundestagsfraktion wurden erste Stimmen laut, die den Beschluss der Parteispitze gegen eine erneute große Koalition kritisieren. So sprach sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bernd Westphal, für Kontakte mit CDU/CSU und gegen Neuwahlen aus. «Die SPD hat sich zu weit festgelegt», sagte er dem «Handelsblatt» (Dienstag). Der Rechtsexperte der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, sagte der Zeitung: «Die SPD sollte nicht vorschnell auf Neuwahlen drängen und das Gespräch mit dem Bundespräsidenten ernst nehmen.»

Unterdessen nahm auch die Diskussion über Chancen und Risiken einer Minderheitsregierung Fahrt auf. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles kann sich anscheinend die Tolerierung einer unionsgeführten Regierung vorstellen. «Das hängt davon ab, da müssen wir jetzt drüber reden», sagte sie im ZDF-«Morgenmagazin». Zugleich betonte Nahles mit Blick auf mögliche Neuwahlen: «Da hat niemand wirklich Lust drauf.»

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält eine Minderheitsregierung allerdings für sehr unwahrscheinlich. Das Land habe keine Tradition in dieser Hinsicht, sagte er in Stuttgart. «Ich denke nicht, dass es dazu kommen wird.» Dagegen sagte der frühere Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele dem Bayerischen Rundfunk, die Grünen sollten offen sein für die Beteiligung an einer Minderheitsregierung.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) appellierte im ZDF an die SPD, die Worte Steinmeiers zu «wägen». In den nächsten drei Wochen müsse Klarheit geschaffen werden, ob auf der Grundlage des Wahlergebnisses eine stabile Regierung gebildet werden kann. «Eine Minderheitsregierung, die von niemandem unterstützt und getragen wäre, wäre sicherlich keine gute Lösung für das Land», sagte Altmaier.

Lindner warb in einem Brief an die FDP-Mitglieder um Verständnis für den Abbruch der Sondierungen. Auf dem Verhandlungstisch habe am Ende im wesentlichen «ein ambitionsloses "Weiter so" auf dem Kurs der Großen Koalition» gelegen, gespickt mit zahlreichen Wünschen der Grünen. «Dafür können und wollen wir nicht zur Verfügung stehen», schrieb der FDP-Chef. Sein Vize Wolfgang Kubicki machte deutlich, dass es keinen alleinigen Schuldigen gebe. «Wir alle haben es nicht hingekriegt», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Man muss respektieren: Wenn es nicht passt, dann passt es nicht.»

Schlüsselrolle für Steinmeier

Steinmeier als Krisenmanager

Minderheitsregierungen sind in Deutschland gar nicht so selten - vor allem nicht auf Länderebene. In allen Bundesländern außer Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen gab es bereits Regierungen ohne parlamentarische Mehrheit. Im Bund hatten bisher vier Minderheitskabinette nur wenige Wochen Bestand. Sie waren immer während der Übergangszeit zwischen dem Verlust ihrer Mehrheit und der Bildung einer neuen Koalition im Amt.

In den Bundesländern war es häufig ähnlich. So hat zum Beispiel die rot-grüne Regierung von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil in Niedersachsen seit dem Übertritt einer Abgeordneten zur Opposition vor dreieinhalb Monaten keine Mehrheit mehr. Das wird sich voraussichtlich an diesem Mittwoch wieder ändern, dann soll Weil seine jüngst geschmiedete rot-schwarze Landtagsmehrheit erneut zum Regierungschef wählen.

Minderheitsregierungen in den Ländern gab es aber auch zum Teil über einen längeren Zeitraum. So stand etwa SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen einem rot-grünen Kabinett vor, das fast zwei Jahre lang von den Linken toleriert wurde.

Parteien / Regierung / Bundestag / Deutschland
21.11.2017 · 17:09 Uhr
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