Soravia-Skandal: Ex-Finanzchef soll zahlen – Urteil setzt Präzedenzfall
Ein Urteil, das Soravia erschüttert
Es ist das erste Mal, dass ein Soravia-Spitzenmanager persönlich haftbar gemacht wird: Das Landgericht Stuttgart verpflichtete den langjährigen Finanzchef Peter Steurer zu einer Zahlung von rund 9000 Euro an einen Anleger – zuzüglich Zinsen. Was nach einem kleinen Betrag aussieht, könnte für den Konzern teuer werden. Denn die Entscheidung hat potenziell Signalwirkung für tausende weitere Betroffene, die insgesamt bis zu 275 Millionen Euro in Produkte der One Group investiert hatten.
Im Kern des Falls steht der Fonds „ProReal Europa 10“. Laut Prospekt sollte er als Blindpool ein breit gestreutes Immobilienportfolio aufbauen. Doch drei Monate vor dem Einstieg des Klägers hatte der Fonds bereits sämtliche Anlegergelder per Darlehensvertrag an eine Soravia-nahe Gesellschaft – die SC Finance Four (SCFF) – gebunden. Genau das, so die Richter, zerstörte das gesamte Blindpool-Konzept. Anleger seien nicht informiert worden, der Prospekt damit „unrichtig“.
Der versteckte Kredit – und ein Risiko, das niemand sehen sollte
Die SCFF fungierte als Drehscheibe für die Finanzierung angeschlagener Baustellen im Soravia-Konzern. Mit Abschluss des Darlehensvertrags waren faktisch alle Mittel des Fonds vorbestimmt. Von Diversifikation, wie im Prospekt versprochen, keine Spur.
Die Richter fanden deutliche Worte: Die Emittentin habe „alles auf eine Karte“ gesetzt – ein „extremes Klumpenrisiko“, von dem Anleger unbedingt hätten wissen müssen. Auch sei die Fondsgesellschaft danach „faktisch ohne Einfluss“ auf die Verwendung des Geldes gewesen. Genau das widerspricht dem zentralen Versprechen eines Blindpools.
Steurers Anwälte argumentierten, das Darlehen habe den Anlegern Zugang zum Soravia-Netzwerk verschafft und Risiken sogar breiter verteilt. Das Gericht zeigte sich davon unbeeindruckt – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die SCFF später als einzige Gesellschaft der Soravia-Gruppe in die Insolvenz ging.
6000 Anleger könnten jetzt ihre Ansprüche prüfen
Der Hamburger Anlegeranwalt Lutz Tiedemann, der das Urteil erstritten hat, spricht von einem „Mega-Urteil“. Rund 6000 Investoren hätten ihr Geld in den ProReal Europa 10 gesteckt. Viele von ihnen dürften nun prüfen (lassen), ob zum Zeitpunkt ihres Einstiegs der Prospekt bereits falsch war – und ob auch sie Anspruch auf Schadenersatz haben.
Tiedemann hat bereits mehrere Klagen vorbereitet. Sollte das Urteil in höheren Instanzen Bestand haben, könnte es eine Prozesswelle auslösen, die Soravia erheblich unter Druck setzt.
Ein Konzern im Krisenmodus
Während Anleger klagen, kämpft Soravia mit gravierenden Problemen in Deutschland. Bauprojekte scheiterten, Finanzierungen platzten, Vertragsstrafen liefen in Millionenhöhe auf. Im Dezember 2023 stoppte die One Group die Zinszahlungen an Investoren. Es folgte eine intransparente Umstrukturierung, bei der deutsche Anleger nur häppchenweise erfuhren, was mit ihrem Kapital geschah.
Die SCFF ging in die Eigenverwaltung – und das von Anlegern investierte Geld gilt nach aktuellem Stand als nahezu vollständig verloren.
Steurer galt als zentrale Figur des Umbauprozesses und rechte Hand von CEO Erwin Soravia. Er verließ den Konzern 2024 – „einvernehmlich“, wie es offiziell hieß.
Warum das Urteil eine gefährliche Dynamik auslöst
Juristisch geht es um mehr als einen Formfehler. Das Urteil stellt den Umgang des Fonds mit Anlegergeldern grundsätzlich infrage. Entscheidend ist: Wurde der Blindpool-Charakter bereits abgeschafft, bevor Anleger investierten? Wenn ja, dann wären zahlreiche Verträge auf wackligem Fundament.
Für Soravia ist der Fall deshalb hochsensibel. Für Anleger öffnet sich dagegen ein möglicher Weg, ihr Geld zumindest teilweise zurückzuerhalten.
Steurers Anwälte haben angekündigt, in Berufung zu gehen. Auch Soravia will das Urteil prüfen.
Doch der Anfang ist gemacht. Und er dürfte für den Immobilienkonzern unangenehmer werden, bevor er besser wird.


