Banaszaks Kurswechsel erschüttert die Grünen
Felix Banaszak, frisch gewählter Chef der Grünen, hat seiner Partei eine Diagnose verpasst, die sie lange vermieden hat. In einem Interview spricht er von einer „autoritären Verschiebung“ in Deutschland, von einer zunehmenden Polarisierung und einer politischen Linken, die den Anschluss an Teile der Gesellschaft verloren hat. Dass ausgerechnet der Vorsitzende einer Partei, die jahrzehntelang als kulturelles Korrektiv auftrat, nun zum Klassenkampf aufruft, zeigt, wie tief der strategische Bruch ist, vor dem die Grünen stehen.
Banaszak macht keinen Hehl daraus, dass die eigenen Fehler zum Vertrauensverlust beigetragen haben. Seine Analyse ist nüchtern: Die Partei habe unterschätzt, wie stark viele Menschen ihre Klimapolitik als Eingriff in die eigene Lebensweise empfanden. Nicht die Ziele der Transformation seien das Hauptproblem gewesen, sondern das Tempo, die Rhetorik und die mangelnde Bereitschaft, soziale Kosten offen zu benennen. Besonders im Osten, sagt er, treffe das Zukunftsversprechen der Grünen auf eine Gesellschaft, die schlechte Erfahrungen mit Wandel gemacht habe. Diese historische Hypothek haben die Grünen lange ignoriert.
Seine Aussagen wirken wie eine verspätete Antwort auf eine Entwicklung, die längst sichtbar ist. Gegner ökologischer Politik haben es geschafft, den Klimaschutz zu einem Symbol kultureller Spaltung zu machen. Banaszak beschreibt eine Allianz fossiler Interessen, die sich aus seiner Sicht zunehmend von der demokratischen Mitte entfernt und Anschluss an autoritäre Bewegungen sucht. Diese Zuspitzung ist Teil der politischen Realität, doch sie erklärt nur einen Teil des Problems. Die andere Hälfte besteht darin, dass die Grünen selbst zu wenig unternommen haben, um jene gesellschaftlichen Gruppen einzubinden, die die Lasten der Transformation tragen.
Deshalb fordert Banaszak den strategischen Neuanfang. „Mehr Klassenkampf, weniger Kulturkampf“ lautet seine Formel. Dahinter steckt ein Versuch, die soziale Frage in den Mittelpunkt zu rücken und die Partei aus jener Ecke herauszuführen, in die sie in den vergangenen Jahren gedrängt wurde: moralisch hochgerüstet, kulturell dominant, aber politisch isoliert. Seine Botschaft richtet sich nicht nur an die eigene Basis, sondern an eine Wählerschaft, die die ökologischen Ziele grundsätzlich teilt, sich aber von der politischen Tonlage der Partei entfremdet hat.
Die Verschiebung hin zur sozialen Konfliktanalyse ist mehr als nur eine rhetorische Volte. Sie trifft den Kern eines strukturellen Problems. Die großen Transformationsprojekte – Klimaschutz, Verkehrswende, energetische Sanierung – hängen an einem Staat, der sichtbar überfordert ist. Banaszak benennt das offen: Der Staat sei nicht in der Lage, „die einfachsten Versprechen zu halten“. Dass er die Deutsche Bahn exemplarisch hervorhebt, ist kein Zufall. Die marode Infrastruktur wirkt längst wie ein politisches Symbol für verfehlte Prioritäten und gebrochenes Vertrauen. Wenn Züge unzuverlässig sind, Bauprojekte stagnieren und Behörden überlastet sind, unterminiert das die Glaubwürdigkeit jeder größeren Erzählung politischer Modernisierung.
Genau darin liegt die strategische Herausforderung. Eine Partei, die für gesellschaftlichen Wandel steht, kann sich keinen Staat leisten, der praktisch kollabiert. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit erzeugt politischen Druck – und sie nährt das Gefühl von Ohnmacht, über das Banaszak spricht. Der Autoritätsverlust staatlicher Institutionen schafft Raum für populistische Angebote, die einfache Antworten versprechen und dabei systemische Schwächen ausnutzen.
Indem der Grünen-Chef Fehler eingesteht und die soziale Dimension des Klimaschutzes betont, versucht er, eine neue Erzählung aufzubauen. Eine, die nicht länger auf kulturelle Abgrenzung setzt, sondern auf materielle Interessen, Löhne, Preise und Chancen. Ob dieser Kurswechsel gelingt, hängt davon ab, wie ernst die Partei die Worte ihres Vorsitzenden nimmt. Denn politisch wirksam wird der neue Klassenkampfton erst dann, wenn er sich in konkreten Programmen, Prioritäten und Kompromissen niederschlägt.
Banaszak wagt damit einen riskanten Schritt. Er stellt seiner Partei einen Spiegel vor, der nicht schmeichelt, und er versucht, die Strömungen zwischen ökologischer Notwendigkeit und sozialer Realität zu versöhnen. Der Erfolg dieses Ansatzes ist offen. Sicher ist nur: Ein Weiter-so an der kulturellen Front würde die Partei weiter schwächen. Die soziale Frage hingegen könnte den Grünen den politischen Raum zurückgeben, den sie in den vergangenen Jahren verloren haben.


