Ein Monat zwischen Überschuss und Dunkelflaute
Der Oktober 2025 hat die strukturellen Schwächen des deutschen Stromsystems mit einer Deutlichkeit offengelegt, die selbst Branchenkenner überrascht hat. Innerhalb weniger Tage schwankten die Großhandelspreise zwischen null und mehr als 400 Euro je Megawattstunde. Die Ursachen sind bekannt, aber im Zusammenspiel prägen sie eine Entwicklung, die Wirtschaft, Versorger und Netzbetreiber an die Grenze ihrer Steuerbarkeit bringt.
Die Statistiken zeigen Muster, die sich seit Jahren verfestigen. Treffen sonnige oder windreiche Tage auf eine moderate Nachfrage, drückt der Überschuss der erneuerbaren Einspeisung die Preise regelmäßig auf null. Solar- und Windstrom entstehen dann zu Zeiten, in denen sie systemisch kaum gebraucht werden. Ein Großteil wird exportiert, häufig in Märkte, in denen flexible Kraftwerke kurzfristig zurückgefahren werden können. Für die Nachbarn ist es ein günstiges Angebot, für deutsche Verbraucher hingegen ein verdeckter Kostenblock: Die Differenz zwischen Marktpreis und Einspeisevergütung bleibt im System und wird letztlich über Umlagen getragen.
Dramatisch verändert sich das Bild, sobald Wind und Sonne gleichzeitig ausfallen. Mehrere ausgeprägte Dunkelflauten im Oktober erforderten hohe Importe und den verstärkten Einsatz konventioneller Kraftwerke. Die Preise schossen in diesen Phasen gern auf mehrere Hundert Euro. Vor allem der Zeitraum Mitte Oktober stach hervor: Über drei Tage hinweg lag die Erzeugung regenerativer Anlagen deutlich unter Bedarf, während die Nachfrage jahreszeitlich bedingt anzog. Der Spitzenpreis von mehr als 400 Euro je Megawattstunde markiert den höchsten Wert seit Monaten.
Hinzu kommt ein zweites, weniger sichtbares Problem. Auch in Zeiten starker regenerativer Einspeisung bleibt eine Mindestlast konventioneller Erzeugung unverzichtbar, um die Netzstabilität sicherzustellen. Große Generatoren liefern die rotierende Masse, die moderne Stromnetze für Frequenzhaltung und Störungsresistenz benötigen. Ohne diesen konventionellen Sockel steigt das Risiko unkontrollierter Schwankungen. Die Betreiber erhalten dafür eine Vergütung, selbst wenn der Marktpreis auf null fällt. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten dieses Stabilisierungsbeitrags schwanken, sind aber beträchtlich.
Die politische Botschaft von Tagen, an denen die erneuerbaren Energien den Bedarf rechnerisch vollständig decken, darf daher nicht isoliert betrachtet werden. Der 26. Oktober, an dem erstmals ein gesamter Tag regenerativ versorgt wurde, war ein Niedriglastsonntag – mit geringen industriellen Verbräuchen und außergewöhnlich hoher Windleistung. Der symbolische Erfolg verdeckt, dass diese Konstellation zufällig ist und kein verlässliches Modell für ein Industrieland darstellt. Im Alltag ist der Strombedarf höher, die Einspeisung volatiler und die Lücke größer.
Der Blick auf den Gesamtmonat zeigt zudem ein wiederkehrendes Muster: Immer wenn die erneuerbare Erzeugung stundenweise über Bedarf liegt, fallen die Preise rapide. Fehlt sie, steigen sie ebenso schnell. Importbedarf und Marktmechanik verstärken die Ausschläge. Das sorgt für eine Preisvolatilität, die Industrie und Mittelstand kaum planen können. Viele energieintensive Betriebe reagieren mit Drosselungen, Verlagerungen oder dem Aufbau eigener Erzeugungskapazitäten. Die Standortdebatte wird dadurch nicht einfacher.
Komplex wird die Lage auch durch die Vielzahl paralleler Instrumente, mit denen der Ausbau der Flexibilität vorangetrieben werden soll. Wärmepumpen, Wasserstoff, Batteriespeicher und steuerbare Lasten gelten als zentrale Bausteine, um die volatilen Einspeiseprofile abzufedern. Doch ihre Wirkung entfaltet sich nur teilweise: Die Projekte sind teuer, die regulatorische Komplexität hoch, und in vielen Fällen bleibt der wirtschaftliche Nutzen unklar. Das zwingt Verbraucher und Unternehmen, ihren Energieverbrauch zunehmend an der Einspeisung auszurichten – ein Paradigmenwechsel, der breite Akzeptanz voraussetzt.
Der Oktober 2025 liefert damit ein prägnantes Bild einer Energiewirtschaft, die in vielen Bereichen im Übergang steckt. Die bestehenden erneuerbaren Kapazitäten haben die Fähigkeit, einzelne Tage vollständig abzudecken. Gleichzeitig zeigen die Dunkelflauten, wie groß die strukturelle Lücke bleibt. Ohne zusätzliche flexible Kapazitäten, Speicher, Reservekraftwerke und eine Netzinfrastruktur, die mit der Einspeisedynamik Schritt hält, bleibt die Versorgungslage fragil.
Für Politik und Wirtschaft ergeben sich daraus zwei imperatives. Erstens braucht es ein realistisches Verständnis der physikalischen und marktlichen Grenzen des Systems. Zweitens müssen Planungssicherheit und Versorgungskontinuität wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. Denn nur wenn dauerhaft verlässlicher Strom verfügbar ist, kann Deutschland zu einem wettbewerbsfähigen Industrieland bleiben. Der Oktober zeigt eindrucksvoll, wie weit der Weg dorthin noch ist.


