Tokenisierung trotz Turbulenzen: Zwischen Hype und Realität
Am Kryptomarkt schwanken die Kurse fast täglich, mal sind es Meme-Coins, mal Bitcoin. Doch abseits dieser Volatilität reifen die Grundlagen für eine neue Finanzarchitektur. Banken, Börsen und Regulierer arbeiten 2025 mit Hochdruck an der Tokenisierung von Wertpapieren und der Integration von Blockchain in den regulierten Kapitalmarkt. Während die Nasdaq in den USA die Weichen für den Handel mit tokenisierten Aktien stellt, schaffen deutsche Institute wie die Börse Stuttgart, die NRW.BANK oder die KfW bereits konkrete Infrastrukturen. Die Entwicklung zeigt: Blockchain schreitet im Finanzwesen voran – unabhängig von Kurshypes.
Regulatorische Leitplanken in Europa
Ein zentraler Treiber für die Tokenisierung ist die Regulierung. In Deutschland bildet das Gesetz über elektronische Wertpapiere seit 2021 die Grundlage dafür, dass Wertpapiere ohne physische Urkunde auf einer Blockchain emittiert werden können. Ergänzend erlaubt das Gesetz die Führung spezieller Kryptowertpapierregister. Auf europäischer Ebene wurde 2024 die Markets in Crypto-Assets Regulation rechtskräftig. Sie schafft einheitliche Standards für Emittenten und Dienstleister in allen EU-Mitgliedstaaten und ist ein entscheidender Faktor für institutionelles Vertrauen. Die Börse Stuttgart Digital erhielt im Januar 2025 als einer der ersten Anbieter in Deutschland eine MiCA-Lizenz und positioniert sich damit als regulierter Crypto-Asset Service Provider.
Diese rechtlichen Rahmenbedingungen führen dazu, dass Finanzakteure nicht länger experimentell agieren, sondern Produkte entwickeln können, die regulatorisch abgesichert sind. Damit verschiebt sich der Fokus von spekulativen Coins hin zu stabilen, tokenisierten Finanzinstrumenten.
Praktische Umsetzung: Deutsche Institute preschen vor
Mehrere deutsche Akteure haben 2025 bereits tokenisierte Wertpapiere auf den Markt gebracht. Die NRW.BANK emittierte im Frühjahr eine digitale Anleihe über 100 Millionen Euro auf der Polygon-Blockchain – ein Pilot, der auf dem eWpG basiert. Auch die Förderbank KfW hat in den vergangenen Monaten mehrere Milliarden Euro an digitalen Anleihen über die Clearstream-D7-Plattform abgewickelt. Damit zählen deutsche Institute zu den größten Emittenten weltweit. Parallel dazu bietet die Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe ein eigenes Krypto-Wertpapierregister an. Fondsanteile oder Schuldverschreibungen können so direkt auf der Blockchain registriert werden, was Abwicklung und Verwahrung beschleunigt.
Ein weiterer Schritt ist die neue Plattform Seturion, die die Börse Stuttgart Anfang September 2025 vorgestellt hat. Sie soll als paneuropäisches Abwicklungssystem für tokenisierte Assets dienen und ermöglicht Abrechnungen sowohl auf öffentlichen als auch auf privaten Blockchains. Seturion ermöglicht Settlement sowohl in Zentralbankgeld als auch mit On-Chain-Cash und ist bereits bei BX Digital im Einsatz. Bemerkenswert ist, dass Seturion Zahlungen in Zentralbankgeld unterstützt und so die Brücke zwischen traditionellen Finanzsystemen und Distributed-Ledger-Technologien schlägt.
Internationale Dynamik: Nasdaq und Stablecoins
Auch außerhalb Europas nehmen die Entwicklungen Fahrt auf. Die Nasdaq hat am 8. September 2025 bei der US-Börsenaufsicht SEC beantragt, tokenisierte Aktien und Anleihen direkt im regulierten Hauptmarkt zu handeln. Ziel ist es, Settlement-Zeiten von mehreren Tagen auf Minuten zu verkürzen. Sollte die SEC zustimmen, wäre dies ein Meilenstein für die Integration von Blockchain in den traditionellen US-Kapitalmarkt.
Parallel dazu gewinnt die Tokenisierung von Geld an Bedeutung. In der Schweiz führten Banken Mitte September 2025 erstmals eine verbindliche Zahlung mit Bankeinlagen über eine öffentliche Blockchain durch. Auch Stablecoins und Konzepte wie das „tokenized cash“, das unter anderem von McKinsey und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich diskutiert wird, spielen eine wachsende Rolle. Die Vision: Ein einheitliches, blockchain-basiertes Finanzsystem, in dem Wertpapiere, Zentralbankgeld und Bankengeld miteinander interagieren.
Tokenisierung und klassischer Kryptohandel sind eng miteinander verbunden. Während Bitcoin und Ethereum als dezentrale Kryptowährungen gehandelt werden, geht es bei tokenisierten Wertpapieren um regulierte Finanzinstrumente. Die Börse Stuttgart hat beide Felder verbunden: Über die Tochtergesellschaft Börse Stuttgart Digital Exchange betreibt sie bereits seit mehreren Jahren einen regulierten Handelsplatz für Kryptowährungen.
Außerdem bleiben digitale Währungen auch als Zahlungsmittel präsent – etwa auf Gaming-Plattformen, die Zahlungen in Bitcoin, Ethereum oder Stablecoins annehmen und ganz besonders im iGaming, wo Crypto Casinos für Deutsche attraktiv werden, da sie schnelle und sichere Transaktionen bieten. So zeigt sich, dass neben institutioneller Tokenisierung weiterhin ein praktischer Einsatz klassischer Krypto-Coins existiert.
Big Tech und Blockchain-Infrastruktur
Nicht nur Banken und Börsen investieren in die Tokenisierung, auch die großen Technologiekonzerne positionieren sich. Google treibt mit dem Google Cloud Universal Ledger eine eigene permissioned Blockchain voran, die speziell für Finanzinstitute entwickelt wurde. In Kooperation mit der CME Group wird dort die Abwicklung von Sicherheiten und Kapitalanforderungen getestet, mit dem Ziel, Prozesse zu beschleunigen und regulatorische Anforderungen effizienter umzusetzen.
Microsoft setzt parallel auf B2B-Lösungen über seine Cloud-Plattform Azure und hat 2025 ein Crypto Payment Gateway vorgestellt, das Kryptowährungen automatisiert in Fiat-Währungen umwandelt. Apple dagegen bleibt zurückhaltend: Der Konzern integriert bislang keine eigene Blockchain, hält über seine Plattformpolitik aber eine zentrale Kontrollrolle. Indirekt ist Apple dennoch Teil der Tokenisierungswelle, da die Nasdaq explizit auch große Aktienwerte wie Apple im Rahmen ihres SEC-Antrags digital abbilden will.
Ausblick
Doch trotz der Dynamik gibt es offene Fragen. Noch ist nicht in allen Jurisdiktionen eindeutig geklärt, wie Eigentumsrechte an Token rechtlich verankert sind. Zudem erschwert die Interoperabilität zwischen verschiedenen Blockchains die breite Nutzung. Auch die Liquidität in Sekundärmärkten muss wachsen, damit Investoren wirklich von den Effizienzgewinnen profitieren. Schließlich bleibt auch die Integration von digitalem Zentralbankgeld entscheidend: Ohne Wholesale-Euros oder andere CBDCs können Abwicklungsvorteile nur teilweise realisiert werden.
Dennoch ist klar: Die Tokenisierung ist kein Nischentrend mehr. Während Kryptowährungen weiter für Schlagzeilen sorgen, arbeiten Banken und Börsen an dauerhaften Strukturen. Deutschland und Europa setzen dabei auf konkrete Plattformen, die USA auf regulatorische Öffnungen. Gemeinsam entsteht so die Grundlage für Kapitalmärkte, die schneller, transparenter und global vernetzter funktionieren – unabhängig davon, ob der Bitcoin-Preis steigt oder fällt.


