Autobahn GmbH unter Verdacht: Wie eine interne E-Mail zu einem möglichen Compliance-Fall wurde
Die Anfrage wirkte harmlos, zumindest auf den ersten Blick. „EILT“, stand in der Betreffzeile, gefolgt von einer Bitte um Übersicht über alle externen Beratungen der IT-Abteilung. Doch die E-Mail, die im April 2024 an 19 Führungskräfte der Autobahn GmbH ging, stammt nicht aus dem eigenen Haus – sondern von einem externen Berater des Wirtschaftsprüfers EY. Sie fordert nicht nur die Liste aller Dienstleister, sondern auch Namen, Tagessätze, Vertragsvolumina und laufende Projekte. Daten, die in einem Vergabeverfahren Gold wert sind.
Nun prüft die Staatsanwaltschaft den Vorgang. Der Verdacht: Bestechlichkeit und Verrat von Geschäftsgeheimnissen.
Die Anfrage wirft grundlegende Fragen auf
Die Informationen, die dem Handelsblatt vorliegen, deuten auf ein internes Zusammenspiel hin. Eine hochrangige Führungskraft der Autobahn GmbH soll den EY-Berater gebeten haben, die Übersicht zu erstellen – eine Aufgabe, die nach gängiger Praxis ausschließlich intern erledigt wird. Dass externe Berater mit sensiblen Daten aller Konkurrenten betraut werden, widerspricht elementaren Compliance-Regeln.
Noch heikler wird der Fall dadurch, dass EY sich anschließend an Ausschreibungen im IT-Bereich beteiligte – und in mindestens einem Fall erfolgreich war. Mit detaillierten Kenntnissen über die Konkurrenz hätte das Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Für Managementexperte Thomas Deelmann ist die Sache eindeutig: „Das macht man einfach nicht.“ Wer eine solche Übersicht erhält, müsse eigentlich aus Vergabeverfahren ausgeschlossen werden – mindestens für mehrere Jahre. Dass die Autobahn GmbH genau das nicht tat, heizt die Kritik zusätzlich an.
Der Fall landet bei den Ermittlern – und sorgt für Unruhe im Haus
Nachdem ein Hinweis eingegangen war, übergab das Landeskriminalamt den Vorgang an die Staatsanwaltschaft zur rechtlichen Prüfung. Die Vorwürfe sind gravierend: mögliche Vorteilsnahme, unzulässige Weitergabe vertraulicher Geschäftsunterlagen, Verletzung von Vergaberegeln.
Intern hat die Autobahn GmbH eine eigene Prüfung eingeleitet, schweigt aber zu Details. Man verweise auf „vielfältige Compliance-Anforderungen“ und die Pflicht, die Integrität sensibler Daten „von der Bekanntmachung bis zur Auftragsdurchführung“ zu gewährleisten.
EY reagiert mit gewohntem Schweigen: Man äußere sich nicht zu konkreten Kunden oder Projekten.
Die Liste entsteht – und wird weitergeführt
Der EY-Berater lieferte die geforderte Übersicht zügig ab. Die Tabelle listete sämtliche externen Dienstleister der IT-Abteilung, ihre Tagessätze und Projekte. Im Januar 2025 wurde die Übersicht auf Wunsch derselben Führungskraft aktualisiert. Ein Dokument, das in seiner Genauigkeit ein sensibler interner Managementbericht hätte sein müssen – erstellt von einem Konkurrenten im Beratungsmarkt.
Kurz darauf gewann EY einen der größten IT-Aufträge in der jüngeren Geschichte der Autobahn GmbH: ein Zehnjahresvertrag, vergeben im Mai 2025.
Die strukturellen Probleme der Autobahn GmbH treten erneut offen zutage
Die Affäre trifft ein Unternehmen, das seit Jahren mit seinen IT-Strukturen hadert. Die 2018 gegründete Bundesgesellschaft sollte den Flickenteppich der Landesverwaltungen ablösen. Doch bis heute ist die IT der Schwachpunkt des Hauses. Vergaben dauern, Projekte stocken, interne Kompetenzen fehlen. In der Berliner Zentrale kommt nach Angaben aus dem Unternehmen in der IT-Abteilung nahezu ein externer Berater auf einen internen Mitarbeiter.
Das Beratungsbudget ist gewaltig: Rund 40 Millionen Euro pro Jahr in der IT – bei einem angenommenen Tagessatz von 1200 Euro. Insgesamt arbeiten 120 externe Firmen für die Autobahn GmbH, allein 17 davon im IT-Bereich. Dass sich Berater über Jahre festsetzen, erinnert manche im Haus an den Beraterskandal im Verteidigungsministerium, bei dem Ausschreibungen und Aufträge über persönliche Netzwerke gesteuert worden sein sollen.
Ein System, das dringend eigene Expertise bräuchte
Der Vorfall zeigt, wo das eigentliche Risiko liegt: In einem Umfeld, in dem externe Dienstleister permanent Aufgaben übernehmen, wächst die Abhängigkeit – und sinkt die Kontrolle. Wenn interne Strukturen so schwach sind, dass selbst sensible Datenaufstellungen ausgelagert werden, entstehen Lücken, die Berater oder Führungskräfte ausnutzen können.
Für Deelmann ist es daher nicht nur ein Regelverstoß, sondern ein strukturelles Alarmzeichen. Die Autobahn GmbH müsste Kompetenzen aufbauen, statt sie auszulagern. Doch genau daran fehlt es bis heute.
Die Debatte wird das Unternehmen noch lange begleiten
Die Staatsanwaltschaft prüft, die internen Ermittlungen laufen. Für EY ist der Vorgang unangenehm, für die Autobahn GmbH potenziell folgenreich. Ob es tatsächlich zu einem strafrechtlichen Verfahren kommt, ist offen. Fest steht jedoch: Der Fall legt offen, wie anfällig Vergabestrukturen werden, wenn Transparenz und Verantwortlichkeiten verwischen.
Und er zeigt, wie schnell ein einziges Dokument – eine Tabelle, erstellt auf Zuruf – ein ganzes System in Erklärungsnot bringt.


