Deutsche Start-up-Gründer nutzen eigene Finanzmittel
Obwohl sich Risikokapitalgeber zurückhalten, steigt die Zahl der Start-ups, die ausschließlich mit Eigenmitteln finanziert wird.
Eine Erhebung der Unternehmensberatung EY belegt, dass die Investitionen in deutsche Start-ups im ersten Halbjahr um 49 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro einbrachen. Grund hierfür ist vor allem die Inflationslage und die unsichere konjunkturelle Entwicklung, die es Investoren ermöglicht, die Konditionen für Deals zu diktieren. Doch das Bootstrapping kann Erfolge und Freiheit für ambitionierte Unternehmer bringen.
VCs begrüßen es, wenn Unternehmer die Anfangsphase aus eigenen Mitteln finanzieren und Erfolgsbeispiele wie Celonis, Workwise, Signavio und Gymshark beweisen, dass auf diesem Weg Erfolg möglich ist. Das eigene Finanzpolster, Abfindungen und Entlassungen durch große Tech-Konzerne ermöglichen es Befragten laut einer Untersuchung des US-Kreditgebers Clarify Capital dennoch, in diesen Riskobereich einzusteigen und mehr als 60 Prozent ergreifen die Chance auf Selbstständigkeit. Trotz der damit verbunden hohen finanziellen Risiken möchte ein Unternehmer wie Christian Arens und seine Mitstreiter von True Motion diese Freiheit, ihre Ideen und Umsetzungen nicht an Strukturen und Vorgaben anpassen zu müssen. Nachdem sie über 180.000 ihrer Laufschuhe mit hufeisenförmiger Sohle verkauft haben und mit 180 Händlern zusammenarbeiten, rechnet sich das Team inzwischen ein Gehalt aus.
Um das eigene Geschäftsidee finanziell aufzusetzen, bieten sich Gründerprogramme an, die auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern angeboten werden. Diese Finanzierungsform ermöglicht es Start-ups, Ausgaben zu tätigen, ohne dafür sofort Erträge zu erhalten. Alexander Ingelheim, Gründer des Datenschutz-Start-ups Proliance, hat sich bewusst gegen Beteiligungen von Venture Capitalists entschieden. Der Grund: Er möchte nicht, dass Investoren Einfluss auf ihn nehmen und Liquidationspräferenzen in Anspruch nehmen. Infolgedessen werden einige Pläne, wie die Expansion in andere Märkte, erst später realisiert werden können, da das benötigte Kapital fehlt.
Auch anderen Start-ups ohne Fremdkapital fehlt häufig der Spielraum, um Wachstumschancen zu nutzen und eine Führungsposition gegenüber kapitalstarken Wettbewerbern einzunehmen. VCs können mehr als nur Geld einbringen: Ihr starkes berufliches Netzwerk und ihre Kontakte zu Investoren und Kunden können von größter Bedeutung sein. Mit Blick darauf hat das schweizer Start-up Adventurly bereits erwogen, sich externer Investoren anzuschließen. Flowkey, ein Klavierlern-Start-up, hat ähnliche Überlegungen angestellt, auch wenn das Unternehmen derzeit ausschließlich über Eigenmittel finanziert wird.
Der britische Venture Capitalist Peter Singlehurst weiß jedoch, dass sich Bootstrapping-Unternehmen effizienter als vielkapitalisierte Firmen entwickeln können. Daher schaut Singlehurst sich aktuell einige Erfolgsgeschichten an, die ausschließlich ohne Fremdkapital realisiert wurden. Trotzdem sollten Gründer ihre Chancen auf externes Kapital nicht außer Acht lassen, denn man weiß nie, was die Zukunft so bringt.
