Zement wird „grüner“ und widerstandsfähiger dank Textilabfälle
Das Problem der weltweiten Textilabfälle stellt eine zunehmende Belastung für Umwelt und Entsorgungssysteme dar. In Europa landet der größte Teil ausgedienter Kleidung auf Müllhalden oder wird verbrannt, nur ein Bruchteil wird tatsächlich recycelt. Viele Kleidungsstücke bestehen aus Mischfasern oder enthalten Zusatzstoffe, was ein hochwertiges Recycling erschwert und häufig zu Entsorgung durch Verbrennung führt – mit negativen Folgen für Klima und Umwelt. Gleichzeitig zählt die Herstellung von Zement und Beton zu den besonders ressourcen- und CO₂-intensiven Industrien. Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders reizvoll, wenn zwei drängende Umweltprobleme – Textilabfall und klimaschädliche Zementproduktion – in einem innovativen Lösungsansatz verbunden werden könnten.

Textilabfall als Rohstoff
Forschende der Kaunas University of Technology (KTU) in Litauen untersuchen derzeit, wie sich ausrangierte Textilien oder textile Nebenprodukte sinnvoll verwerten lassen — entweder als alternative Brennstoffe oder als nachhaltige Komponente in Zement und Beton. Dabei wird das Konzept der linearen „take-make-dispose“-Wirtschaft hinterfragt und durch den Ansatz einer Kreislaufwirtschaft ersetzt: Rohstoffe sollen mehrfach verwendet, recycelt oder wieder in andere Produktionsprozesse eingebracht werden. In einer ersten Variante werden Textilabfälle thermisch behandelt: Bei etwa 300 °C und in sauerstoffarmer Umgebung entstehen karbonreiche Granulate mit hohem Heizwert. Diese könnten fossile Brennstoffe teilweise ersetzen und dadurch den CO₂-Ausstoß senken. Doch der Prozess endet nicht dort — die bei der Verbrennung entstehende Asche bietet weiteres Potenzial.
Neben dieser energiewirtschaftlichen Nutzung verfolgen die Wissenschaftler:innen einen anderen Ansatz: Textilabfälle sollen direkt in Beton- oder Zementmischungen eingebracht werden. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts zeigte sich, dass selbst kleine Mengen recycelter Polyesterfasern – etwa 1,5 Prozent der Gesamtmasse – die Druckfestigkeit von Beton signifikant verbessern können und zugleich die Frost-Tauwechselbeständigkeit erhöhen. Durch solche Maßnahmen rückt nicht nur die Abfallverwertung in den Fokus, sondern auch die Verbesserung der Materialeigenschaften von Bauprodukten — ein doppelter Gewinn im Sinne nachhaltiger Bauwirtschaft.
Textile Asche als Zugabe zu herkömmlichen Zement
Der wohl vielversprechendste Aspekt der Untersuchungen betrifft die Nutzung der bei der Verbrennung von Textilabfällen entstehenden Asche als Zusatz für klassischen Zement. In Laborversuchen konnte gezeigt werden, dass eine Substitution von bis zu 7,5 Prozent gewöhnlichen Portlandzements durch textile Asche möglich ist — und dass diese Mischung bei Standardhärtung eine bis zu 16 Prozent höhere Druckfestigkeit erreicht als herkömmlicher Beton. Damit wird deutlich: Textile Asche funktioniert nicht nur als Füllstoff, sondern trägt aktiv zur Verbesserung der Werkstoffeigenschaften bei.
Diese Entwicklung ist insbesondere vor dem Hintergrund bedeutsam, dass die Zementherstellung weltweit für etwa 7–8 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich ist. Ein Hauptgrund dafür ist der hohe Anteil von Klinker, der bei der Produktion erhitzt und verarbeitet wird. Die Beimischung von Zusatzstoffen oder alternativen Bindemitteln kann daher die Emissionen senken, ohne die Leistungsfähigkeit von Beton und Zement zu gefährden.
Eine Forscherin des Projekts bringt es auf den Punkt: „Diese technologische Lösung reduziert CO₂-Emissionen bei der Zementproduktion und bietet zugleich einen innovativen und umweltfreundlichen Ansatz zum Umgang mit Textilabfällen.“ Das zeigt klar, welchen doppelten Mehrwert nachhaltige Materialforschung leisten kann: Abfallvermeidung und Ressourcenschonung im Bausektor zugleich.
Zum praktischen Einsatz ist es noch ein langer Weg
Die bisher vorliegenden Studien liefern beeindruckende Hinweise auf die Machbarkeit und Wirkung des Ansatzes. Die Kombination aus recycelten Fasern und textilem Asche-Zement erlaubt nicht nur eine Reduktion von Abfall und CO₂-Emissionen, sondern erzeugt zugleich hochwertige Baustoffe mit verbesserten Eigenschaften. Für die Bauindustrie ergibt sich damit eine echte Alternative zu konventionellen Materialien — insbesondere im Kontext steigender Anforderungen an Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz. Zudem entspricht dieser Ansatz den aktuellen politischen Zielen innerhalb der Europäischen Union bezüglich Abfallvermeidung und Recycling.
Allerdings handelt es sich bislang um Laborexperimente und erste technische Machbarkeitsstudien. Für einen breitflächigen Einsatz müssen Skalierbarkeit, Qualitätssicherung und mögliche wirtschaftliche Aspekte geprüft werden. Dazu gehört unter anderem die Frage, wie textile Abfälle in ausreichender, homogenen Menge zu sammeln und aufzubereiten sind — insbesondere angesichts der Vielfalt an Textilarten, Farben und Zusatzstoffen. Auch die langfristige Beständigkeit solcher Zemente und Betone im realen Baualltag (z. B. bei Witterung, Belastung, Alterung) bedarf intensiver Untersuchung.
Dennoch eröffnet der Ansatz eine vielversprechende Perspektive: Die Verknüpfung von Textil- und Bauindustrie könnte zur Grundlage einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Bauweise werden — mit positiven Effekten für Klima, Umwelt und Kreislaufwirtschaft.

