Verlorene Zuversicht: Deutsche Industrie im Schatten der Rezession
Die deutsche Industrie, einst Synonym für Wohlstand und Innovation, steht vor einer Vertrauenskrise. Eine aktuelle Umfrage von YouGov zeigt, dass 75 Prozent der Deutschen die wirtschaftliche Lage des Landes als schlecht oder sogar sehr schlecht einschätzen.
Diese düsteren Aussichten betreffen nicht nur die Gegenwart, sondern auch die kommenden Jahre.
Mit einer wirtschaftlichen Erholung oder einer Stärkung des Industriestandorts rechnet die Mehrheit der Befragten nicht – 63 Prozent glauben, dass Deutschland als Industriestandort in den nächsten zehn Jahren weniger attraktiv sein wird als im letzten Jahrzehnt.
Ein schrumpfender Wirtschaftsmotor
Die Krise der deutschen Industrie ist spürbar. Nahezu täglich erreichen die Öffentlichkeit Nachrichten über Stellenstreichungen, Standortverlagerungen oder Tarifkonflikte.
Der prominenteste Fall ist aktuell Volkswagen, wo ein harter Tarifstreit den Fortbestand einzelner Werke infrage stellt. Doch das Problem reicht weit über die Automobilindustrie hinaus: Die Elektrotechnik, der Maschinenbau und andere Schlüsselbranchen melden seit Monaten rückläufige Umsätze.
„Die Industrierezession hält an“, erklärt Jan Brorhilker von EY.
Sein Team hat berechnet, dass allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres über 50.000 Stellen gestrichen wurden. Seit 2019 sind es mehr als 150.000 – ein bitteres Zeugnis für einen Sektor, der lange als Rückgrat der deutschen Wirtschaft galt.

Politik ohne Vision
Die Erwartungen der Bürger an die politischen Parteien sind ebenfalls ernüchternd. Laut der Umfrage trauen lediglich 32 Prozent der Deutschen der CDU zu, den Industriestandort zu stärken.
Direkt dahinter folgen jedoch jene, die gar keiner Partei Kompetenz in dieser Frage zutrauen – ein bedenkliches Signal für das Vertrauen in die Politik. Während 70 Prozent der AfD- und FDP-Wähler ihrer Partei Industriefreundlichkeit zuschreiben, sind es bei den Grünen nur sechs Prozent.
Die geringe Erwartungshaltung korreliert mit den bisherigen Maßnahmen: Steigende Energiepreise, bürokratische Hürden und ein Mangel an langfristigen Strategien haben die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie geschwächt.
Während andere Länder gezielte Subventionen oder Steuererleichterungen bieten, wirken deutsche Standortbedingungen zunehmend abschreckend.
Keine Hoffnung auf Erholung
Die Wirtschaft stagniert, die Umsätze in der Industrie sinken seit fünf Quartalen in Folge. Der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung liegt mittlerweile bei unter einem Viertel – ein besorgniserregender Trend.
„Es fehlt an einer Perspektive für einen Aufschwung“, so Brorhilker.
Die Auswirkungen spüren auch die Bürger direkt: Ein Drittel der Befragten rechnet mit einer Verschlechterung der eigenen finanziellen Lage im nächsten Jahr. Diese Zahlen unterstreichen eine wachsende Unsicherheit, die weit über die Industrie hinausreicht.
Ist das deutsche Konsensmodell die Lösung?
In Wolfsburg hoffen die Tarifparteien von Volkswagen auf eine Einigung, die als Symbol für den Industriestandort Deutschland gelten könnte. Das sogenannte Konsensmodell, bei dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Lösungen suchen, könnte die Industrie wiederbeleben – doch ohne politische Unterstützung bleibt es ein Kampf gegen den Strom.
Das Vertrauen der Bevölkerung und die Stabilität der Industrie hängen von einer klaren Strategie ab, die Deutschland wieder wettbewerbsfähig macht. Ob die Verantwortlichen diesen Weckruf hören, bleibt abzuwarten.

