Fall Böhmermann: Merkel gibt Ankaras Antrag statt

15. April 2016, 18:58 Uhr · Quelle: dpa

Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die deutsche Justiz ermächtigt, gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu ermitteln. Damit setzte sich die CDU-Chefin mit einem Machtwort über ihren Koalitionspartner SPD hinweg.

Zur Begründung sagte sie, im Rechtsstaat sei es nicht Sache der Regierung, sondern unabhängiger Gerichte, Persönlichkeitsrechte gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen.

Merkel kündigte außerdem an, dass die Regierungskoalition den betreffenden Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs noch in dieser Legislaturperiode streichen will, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe stellt. Die Vorschrift sei «entbehrlich», sagte sie.

Merkels Entscheidung fiel gegen den Willen der SPD-Spitze und der hinzugezogenen SPD-Minister Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas. Justizminister Maas verwies darauf, dass Erdogan zusätzlich auch als Privatmann Anzeige wegen Beleidigung erstattet habe. Damit sei eine gerichtliche Klärung sichergestellt.

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show «Neo Magazin Royale» (ZDF) ein Gedicht vorgetragen, in dem er Erdogan mit drastischen Worten angriff. Es ging um Sex mit Tieren und Kinderpornografie, überdies wurden Klischees über Türken transportiert. Nach eigener Darstellung wollte Böhmermann damit den Unterschied zwischen erlaubter Satire und beleidigender Schmähkritik aufzeigen.

Böhmermanns Anwalt reagierte mit «erheblichem Unverständnis» auf die Entscheidung der Regierung. «Diese Verfolgungsermächtigung war völlig überflüssig und ohne Not», kritisierte Christian Schertz. Es sei rechtlich wie rechtspolitisch höchst bedenklich, einerseits zu erklären, dass die rechtliche Überprüfung Sache der Staatsanwaltschaften und Gerichte sei, andererseits aber eine Verfolgungsermächtigung nachzuschieben.

Der Fall sorgte auch in der Türkei für Empörung. Die regierungsnahe Zeitung «Yeni Akit» schrieb in ihrem Online-Auftritt: «Erdogan hat's ihm gegeben - Deutschlands Narr wird Rechenschaft ablegen». Die allermeisten türkischen Medien berichteten aber sachlich.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann erklärte auf Twitter, er halte Merkels Entscheidung für falsch. «Strafverfolgung von Satire wegen «Majestätsbeleidigung» passt nicht in moderne Demokratie.»

Kritiker werfen insbesondere Merkel vor, wegen der Zusammenarbeit der EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu viel Rücksicht auf Ankara zu nehmen. Merkel rügte am Freitag allerdings auch Defizite in der Türkei bei Presse- und Kunstfreiheit. Die Lage der Medien dort, das Schicksal einzelner Journalisten sowie Einschränkungen des Demonstrationsrechts erfüllten sie «mit großer Sorge».

Die Kanzlerin betonte, im Rechtsstaat bedeute die Erteilung einer Ermächtigung bei diesem speziellen Delikt «weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit».

Laut Paragraf 103 StGB muss, wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, in Deutschland mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

Unabhängig davon bearbeitet die zuständige Staatsanwaltschaft Mainz einen Strafantrag Erdogans wegen Beleidigung, den er als Privatmann einreichte.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) verteidigte die Entscheidung der Bundesregierung: «Satire darf alles, aber nicht jede Beleidigung ist Satire. Wo die Grenze liegt, entscheiden in unserem Rechtsstaat die Gerichte.»

CSU-Chef Horst Seehofer sprach von einer «Entscheidung für den deutschen Rechtsstaat und seine Unabhängigkeit». Merkel habe auch die Unterstützung der drei CSU-Minister in der Regierung.

Die Linke-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht sprach auf Twitter dagegen von einem «unerträglichen Kotau»: «Merkel kuscht vor türkischem Despoten Erdogan und opfert Pressefreiheit in Deutschland.» Grünen-Parteichef Cem Özdemir sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, er sei «nicht glücklich» mit der Entscheidung. «Es fühlt sich falsch an, dass es hier eine Sonderbehandlung gibt.»

Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen erklärte, der Kanzlerin sei der «fragwürdige Kuhhandel» mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage offensichtlich wichtiger, «als sich vor die eigenen Landsleute zu stellen».

Der Anwalt Erdogans will voraussichtlich bis Ende des Monats einen Antrag auf Einstweilige Verfügung bei Gericht einreichen. Böhmermann habe es bisher abgelehnt, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Damit sei ein gerichtlicher Weg unvermeidlich, sagte der Münchner Jurist Michael-Hubertus von Sprenger. Der Antrag auf Einstweilige Verfügung ist unabhängig von dem Strafverfahren gegen Böhmermann, für das am Freitag durch die Entscheidung der Bundesregierung der Weg freigemacht wurde.

Medien / Fernsehen / Leute / Bundesregierung / Deutschland / Türkei
15.04.2016 · 18:58 Uhr
[49 Kommentare]
Thailand (Archiv)
Bangkok/Phnom Penh - Thailand hat am Montag Luftangriffe auf Kambodscha durchgeführt. Dies könnte das Ende eines Friedensplans bedeuten, der erst vor zwei Monaten unter der Vermittlung von US-Präsident Donald Trump vereinbart wurde. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, Angriffe entlang ihrer umstrittenen Grenze gestartet zu haben, nachdem Thailand die weitere Umsetzung des […] (00)
vor 24 Minuten
Finnische Autofokus-Brille in letzter Entwicklungsphase – bald wieder Sehen ohne Grenzen?
So ziemlich jeder wird mit steigenden Alter weitsichtig. Und weil ein bedeutender Anteil der Bevölkerung dazu auch noch kurzsichtig ist, hilft die »normale« Brille dann nicht mehr weiter. Eine teure (und für viele Leute auch nervige) Gleitsichtbrille muss her – oder man endet in einem ständigen Brillenwechsel zwischen Lese- und Fernsicht. Wie schön wäre eine Brille, die sich selbst fokussiert! […] (02)
vor 14 Stunden
Online-Plattform X
Austin (dpa) - Nach der hohen Strafe der EU-Kommission gegen X darf die Brüsseler Behörde keine Anzeigen mehr auf der Online-Plattform von Tech-Milliardär Elon Musk schalten. Produktchef Nikita Bier begründete das Verbot damit, dass der Account der Kommission gegen Regeln verstoßen habe, um einem X-Beitrag zu der Strafe von 120 Millionen Euro mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zuvor hatte Musk ebenfalls via X dazu […] (00)
vor 14 Minuten
Review: Turtle Beach Burst II Pro – Gaming Maus oder graues Mäuschen
Die Turtle Beach Burst II Pro will nicht „nur“ schnell sein, sondern konsistent schneller und präziser als das, was du gewohnt bist. Das merkt man schon an der Architektur: echte 8K‑Wireless‑Polling‑Rate, ein Sensor, der nach oben wie nach unten ungewöhnlich fein skaliert, sowie ein konsequent leichtes, symmetrisches Gehäuse ohne Hohlraum-Skelet-Design. Dazu kommt eine Software, die nicht bloß […] (00)
vor 13 Stunden
Neuer Einsatz für Frank Koops: «Harter Brocken» am 25. Dezember
Der Weihnachtskrimi mit Aljoscha Stadelmann und Anna Fischer soll an den Festtagen gute Quoten holen. Am 25. Dezember um 20: 15 Uhr feiert der neue Film der beliebten Reihe Harter Brocken Premiere. In „Die Erpressung“ muss Dorfpolizist Frank Koops (Aljoscha Stadelmann) diesmal einen besonders undurchsichtigen Fall lösen – mit Verbindungen zu ehemaligen DDR-Agenten, tödlichen Geheimnissen und einem Fall, der weit über das beschauliche […] (00)
vor 17 Stunden
Großer Preis von Abu Dhabi
Abu Dhabi (dpa) - Auf eines ist der neue Formel-1-Weltmeister Lando Norris besonders stolz. «Ich habe einfach auf meine Art gewonnen», betonte der 26 Jahre alte Brite nach seinem Titeltriumph: «Ich habe das Gefühl, dass ich genauso gewonnen habe, wie ich es wollte, nämlich ohne jemand zu sein, der ich nicht bin.» Im letzten Rennen der Saison 2025 hatte Norris Platz drei hinter Sieger Max […] (00)
vor 1 Stunde
bitcoin, coin, icon, symbol, logo, bitcoin logo, currency, cryptocurrency, bitcoin, bitcoin, bitcoin, bitcoin, bitcoin, bitcoin logo, bitcoin logo, bitcoin logo
Der SOL-Kurs begann eine ordentliche Erholungswelle über $130 und $132 gegenüber dem US-Dollar. Der Kurs wird derzeit unter $138 und dem einfachen 100-Stunden-Durchschnitt gehandelt. Es gab einen Ausbruch über eine wichtige bärische Trendlinie mit Widerstand bei $132 auf dem Stunden-Chart des SOL/USD-Paares (Datenquelle von Kraken). Der Kurs könnte weiter steigen, wenn er $138 und $140 […] (00)
vor 59 Minuten
Neuer ZVO-Stipendiat an der TU Ilmenau
Hilden, 07.12.2025 (PresseBox) - Janos Lörincz absolvierte zunächst ein Chemie-Studium (B.Sc.) an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Daran schloss sich ein Lehramtsstudium in den Fächern Chemie und Geschichte an, ebenfalls an der Johannes Gutenberg-Universität. Im Oktober 2025 begann er das Masterstudium der Elektrochemie und Galvanotechnik an der TU Ilmenau. Sein Interesse für Chemie […] (00)
vor 21 Stunden
 
Annalena Baerbock (Archiv)
New York - Die Präsidentin der UN-Vollversammlung, Annalena Baerbock, hat davor gewarnt, […] (03)
branch, winter, snow, winter magic, snow magic, white, snowy, cold, tree, frost, winter dream, winter mood, covered in snow, winter's day, nature, plant, hoarfrost, frozen, wintry, blue, detail, winter, winter, winter, winter, winter, snow, snow, snow, sn
Deutschland erlebt derzeit eine ungewöhnlich milde Phase, die eher an den Frühling erinnert als […] (02)
Polizei (Archiv)
Wiesbaden - Im Bundeslagebild "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung" für das Jahr 2024 […] (02)
Putschversuch in Benin
Cotonou (dpa) - Unmittelbar nach einem vereitelten Putschversuch in Benin hat die […] (00)
Heiligabend im Ersten: Gottesdienst aus Köln-Nippes
Um 23.30 Uhr schaltet Das Erste nach Stuttgart. Doch zuvor hat man eine tagesaktuelle Dokumentation im […] (00)
So mischt Miniso den deutschen Einzelhandel auf
Miniso setzt auf bunte, verspielte Designs und ein Sortiment, das bewusst auf Impulskäufe […] (01)
Hamburger SV - SV Werder Bremen
Hamburg (dpa) - Das erste Bundesliga-Nordderby seit fast acht Jahren endete fast im Tumult. […] (02)
Bericht: Intel soll iPhone-Chips in Zukunft produzieren
Nach einem neuen Bericht soll Intel neben den M-Chips für das iPad zukünftig auch A-Chips für […] (01)
 
 
Suchbegriff