Makler unter Druck: Warum ein Dresdner Urteil die Branche ins Mark trifft
Die Unabhängigkeitsfrage – und warum sie jetzt eskaliert
Die juristische Linie ist scharf gezogen: Wer Provisionen von Versicherern erhält, darf sich nicht „unabhängig“ nennen. Das hat das Oberlandesgericht Dresden Ende Oktober entschieden und damit ein Signal gesetzt, das in der Branche wie ein Stromschlag wirkt. Der Fall selbst war unspektakulär – ein Chemnitzer Makler, eine Website, ein paar große Worte. Doch die Folgen sind alles andere als klein.
Denn das Urteil (Az.: 14 U 1740/24) stellt eine Grundannahme infrage, die viele Makler für identitätsstiftend halten: dass sie ausschließlich im Interesse ihrer Kunden handeln. Gerichtsfest ist das nicht mehr. Die Richter argumentieren nüchtern: Wer Geld von Versicherern erhält, hat zumindest die Möglichkeit eines Eigeninteresses. Und diese Möglichkeit allein reiche aus, um die Bezeichnung als „unabhängig“ als irreführend zu bewerten.
Für die Branche bedeutet das eine Zäsur.
Die Verbraucherzentrale als Treiber – und ein heikler Vorwurf
Ausgelöst wurde der Fall vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Der Verband wirft Maklern seit Jahren vor, ein Marktmodell als neutral zu verkaufen, das in Wirklichkeit auf Courtagen basiert – und damit auf wirtschaftlichen Verflechtungen. Das Chemnitzer Unternehmen ging in der Werbung sogar noch weiter, indem es suggerierte, die Verbraucherzentrale selbst empfehle regelmäßig die Beratung durch einen „unabhängigen Makler“. Belege dafür gab es nicht.
Das OLG Dresden stoppte diese Praxis vollständig. Dass Makler gesetzlich vorgeschrieben eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung tragen, als „Mehrwert“ oder „doppeltes Netz“ zu vermarkten, stufte das Gericht ebenfalls als unzulässige Werbung mit Selbstverständlichkeiten ein.
Die Revision fällt aus – und damit ein höchstrichterliches Urteil vorerst auch
Brisant ist vor allem: Das Urteil ist rechtskräftig. Keine weitere Instanz, kein klärendes Wort aus Karlsruhe. Der Dresdner Senat reiht sich damit in eine wachsende Zahl ähnlicher Entscheidungen ein – etwa des OLG Köln im Jahr 2024. Die Linie der Justiz wird zu einer Art juristischer Realität: Unabhängigkeit ist ein geschützter Begriff. Und wer von Versicherern bezahlt wird, fällt nicht darunter.
Die Branche reagiert – zwischen Empörung und Resignation
Der Sturm ließ nicht lange auf sich warten. Norman Wirth, Vorstand des Vermittlerverbands AfW, spricht von einem Urteil, das die „falschen“ treffe: Makler seien schließlich Sachwalter der Kunden, nicht Handlanger der Produktgeber. Gerade sie seien es, die im Interesse der Verbraucher arbeiteten – und dafür nun kommunikativ bestraft würden.
Wirth kritisiert, dass das Gericht eine juristische Betrachtung über die ökonomische Realität stelle. Und er ist nicht der Einzige. Auf Facebook, LinkedIn und in Fachforen herrscht eine Mischung aus Frust und Fassungslosigkeit. Zu bürokratisch, zu weltfremd, zu wenig Praxiseinblick – so lautet der Tenor vieler Makler.
Einige Stimmen treiben die Kritik weiter. Etwa der Frankfurter Makler Kai Walther, der den Richtern „Unzulänglichkeit“ vorwirft und mangelnde Branchenkenntnis. Und Berater Thorben Schwarz ergänzt, dass Courtagen nicht einfach „Zahlungen der Versicherer" seien, sondern Teil der Prämienstruktur der Kunden – also ein durchlaufender Posten, kein Einflussinstrument.
Mit anderen Worten: Die Branche hält das Urteil für weltfremd.
Ein anderer Blick: Warum manche das Urteil für überfällig halten
Blogger und Branchenkenner Stephan von Heymann sieht die Lage nüchterner. Unabhängigkeit sei ohnehin ein schwieriger Begriff in einer Branche, in der Incentives, Events, Abstufungen und feine Netzwerke selbstverständlich existierten – auch wenn alles innerhalb der Compliance bleibe. Sein nüchterner Hinweis: Wer gute Arbeit leistet, braucht dieses Wort in der Werbung nicht.
Die Botschaft dahinter ist klar: Das Urteil ist nicht das Ende, sondern eine Gelegenheit, klarer und transparenter zu kommunizieren.
Konsequenzen für die Praxis – und die Frage der Glaubwürdigkeit
Für Makler hat das Urteil unmittelbare Folgen. Begriffe wie „unabhängig“ müssen aus Webseiten, Broschüren, Social Ads, Google-Anzeigen verschwinden. Der AfW rät dazu, stattdessen konkrete Leistungen zu betonen: breiter Marktüberblick, keine vertraglichen Bindungen, Auswahl aus zahlreichen Anbietern. Ein ehrlicher, klarer, überprüfbarer Ansatz.
Die Branche steht damit vor einer unbequemen Wahrheit: Wer Vertrauen verkaufen will, muss es präzise formulieren. Die Zeiten, in denen „unabhängig“ als Catch-all-Botschaft funktionierte, sind vorbei.
Ein Urteil mit Signalwirkung – und eine seltene Gelegenheit
Was bedeutet das alles für den Markt? Versicherungsvermittlung ist ein Milliardenbusiness, das maßgeblich auf Glaubwürdigkeit baut. Wenn ein Begriff wie „unabhängig“ fällt, zwingt das die Branche, ihr Wertversprechen neu zu formulieren. Genau darin liegt der historische Moment dieses Urteils.
Denn der Streit ist größer als ein Wort. Er betrifft das Selbstverständnis eines Berufs, die Transparenz gegenüber Verbrauchern – und die Zuverlässigkeit von Finanzberatung in einem Marktumfeld, das ohnehin unter Druck steht.
Das OLG Dresden hat nicht nur Werbung untersagt. Es hat die Branche gezwungen, offener zu argumentieren. Und damit ist, bei aller Kritik, ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit entstanden, der am Ende vielleicht sogar längst überfällig war.


