Das Erwartungsparadoxon – Wenn Unsicherheit zur neuen Normalität wird
Trügerische Stabilität in unsicheren Zeiten
Trotz globaler Krisen halten sich die Finanzmärkte erstaunlich stabil. Der Grund, so Vöpel: Es gibt keine klaren Alternativen, keine Modelle, die die Dynamik dieser Zeitenwende erfassen könnten. Anleger agieren aus Unsicherheit heraus rational – sie halten am Status quo fest, weil jede Wette auf Veränderung zu riskant erscheint.
Diese „rationale Gewöhnung an radikale Unsicherheit“ führt zu einer paradoxen Ruhe. Märkte stabilisieren sich, weil niemand weiß, wie sie sich verändern könnten. Doch genau das unterdrückt die kreative Zerstörung, die für Wachstum und Erneuerung notwendig wäre.
Eine Welt ohne Makro-Ordnung
Die Weltwirtschaft stehe, schreibt Vöpel, an einem „makroökonomischen Kipppunkt“. Deglobalisierung, protektionistische Industriepolitik, unkoordinierte Fiskalstrategien – all das erhöhe strukturell das Risiko von Handels-, Schulden- und Währungskrisen. Besonders der Systemkonflikt zwischen den USA und China verändere die Grundlagen der Globalisierung.
Die Folge: geringeres Wachstum, weniger internationale Arbeitsteilung und eine zunehmende Fragmentierung der Kapitalmärkte. Die Hoffnung, dass künstliche Intelligenz diesen Rückgang kompensiert, sei zwar verlockend – aber hochspekulativ.
Ruhe im Auge des Sturms
Noch herrscht Stabilität, doch sie ist trügerisch. „Im Auge des Sturms ist es ruhig“, schreibt Vöpel. Sobald sich die ökonomische Zeit beschleunigt – etwa durch eine Schulden- oder Währungskrise – könnte die scheinbare Ordnung kippen. Ein Crash wäre dann mehr als ein Marktphänomen: ein geopolitischer Wendepunkt.
Denn in einer Welt permanenter Unsicherheit können sich Erwartungen selbst erfüllen. Was heute noch Stabilität suggeriert, kann morgen der Auslöser für einen Regimewechsel sein – weg von der Globalisierung, hin zu einer multipolaren, unberechenbaren Weltwirtschaft.
Vöpels Fazit: Der nächste Crash wird kein gewöhnlicher sein. Er wird entscheiden, in welches System die Welt danach eintritt – und ob Politik und Märkte bereit sind, den Übergang in das „Post-Zeitenwende-Regime“ zu meistern.


