UN-Helfer im Gazastreifen

UNRWA-Überprüfung nach Vorwürfen Israels

14. Februar 2024, 17:45 Uhr · Quelle: dpa
Einige Angestellte der UN sollen am Terror in Israel beteiligt gewesen sein. Vor dem Hintergrund der alptraumhaften Anschuldigung startet eine Untersuchung mit möglichen Folgen für Millionen Menschen.

New York/Gaza/Jerusalem (dpa) - Aus Sicht Israels ist die Situation eindeutig: Eine Organisation, die Terroristen der Anschläge vom 7. Oktober in den eigenen Reihen hat, darf nicht existieren. Entsprechende Vorwürfe gegen das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA erschüttern Geldgeber wie Deutschland und auch die Weltorganisation. Doch die Situation ist komplex - und voreilige Schritte könnten Hunderttausende Menschenleben gefährden. An diesem Mittwoch hat nun eine möglicherweise folgenreiche Überprüfung der Organisation begonnen.

Es war ein Tag Ende Januar, den Philippe Lazzarini wohl nie vergessen wird. Der Chef des UN-Palästinenserhilfswerks, das mehr als 30.000 Mitarbeitende beschäftigt, war zu einem seiner regelmäßigen Gespräche im israelischen Außenministerium in Jerusalem geladen. Doch das Treffen ähnelte keinem der vorherigen: Lazzarini wurde mit zwölf Namen konfrontiert. Namen seiner Mitarbeiter. Angestellte der Vereinten Nationen, der Neutralität verpflichtet, die an dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober mit mehr als 1200 Todesopfern beteiligt gewesen sein sollen. Schlimmer geht's eigentlich nicht.

Dem Vernehmen nach präsentierte die israelische Regierung zwar weder Bilder noch Videos, dafür aber Geodaten von Mobiltelefonen. Die unerhörten Vorwürfe hielten einer ersten Prüfung durch die UN stand, Lazzarini flog nach New York, um UN-Generalsekretär António Guterres persönlich von der schwersten je erhobenen Beschuldigung gegen UNRWA zu informieren. Guterres stufte diese als «glaubwürdig» ein, feuerte die Verdächtigen - sofern noch am Leben - und kündigte umfassende Aufklärung an. Er weiß: Mit UNRWA steht und fällt die lebenswichtige Hilfe für etwa zwei Millionen Notleidende im Gazastreifen.

Das Geld wird knapp

Auch mehr als ein Dutzend der größten Geldgeber reagieren auf den Skandal: Unter anderem die USA und Deutschland frieren ihre Zahlungen ein; etwa die Hälfte des Budgets droht wegzubrechen. Im Moment reicht das Geld nur noch für wenige Wochen. Umso mehr Gewicht bekommt eine bereits vorab angekündigte unabhängige Prüfung der UNRWA-Strukturen: Seit Mittwoch soll die französische Ex-Außenministerin Catherine Colonna mit strengem Blick urteilen, ob das Hilfswerk genug gegen Extremismus in den eigenen Reihen tut und ob es Veränderungen braucht. Ein Zwischenbericht wird für Ende März erwartet.

Von israelischer Seite gab es noch weitere Vorwürfe gegen UNRWA. Vom Militär hieß es etwa vergangene Woche, man habe einen Hamas-Tunnel unter dem Hauptquartier der Organisation in der Stadt Gaza entdeckt, der der Hamas als Datenzentrale für den militärischen Geheimdienst der Miliz gedient haben soll. Unabhängig konnten die Angaben nicht überprüft werden.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verlangt die Auflösung des Hilfswerks: «UNRWA ist völlig von der Hamas unterwandert», sagte er zuletzt. Die Organisation habe grundsätzlich Schlagseite, antisemitische Ideologie werde unter anderem durch UNRWA-Schulbücher gelehrt. So weit gehen Washington und Berlin nicht, doch die Botschaft ist klar: Es muss etwas passieren.

Hilfe für palästinensische Flüchtlinge

UNRWA kümmert sich bereits seit Jahrzehnten speziell um die Belange palästinensischer Flüchtlinge. Rund 700.000 Palästinenser mussten 1948 im Zuge der israelischen Staatsgründung sowie des ersten Nahostkriegs 1948 fliehen oder wurden vertrieben. Heute können fast sechs Millionen Palästinenser UNRWA-Hilfe in Anspruch nehmen, etwa Bildungs- und Gesundheitsangebote.

UNRWA stellt Lehrer und Ärzte, aber auch Müllsammler und Sicherheitsleute an. In dem von der islamistischen Hamas kontrollierten Gazastreifen beschäftigt es etwa 13.000 Mitarbeitende, die meisten von ihnen sind selbst Flüchtlinge mit ihrem eigenen Schicksal im Nahost-Konflikt. Die Organisation gilt als humanitäres Rückgrat für die Region und - vor allem im Zuge des sich immer weiter zuspitzenden Gaza-Krieges - als alternativlos.

Experte: Israel hat indirektes Mitspracherecht beim Personal

Trotz der beispiellosen Vorwürfe gegen UNRWA sieht Experte Daniel Forti von der Denkfabrik Crisis Group keine Fahrlässigkeit: «Ich glaube nicht, dass UNRWA oder die UN irgendeinen der Vorwürfe ignoriert haben, die Israel in der Vergangenheit erhoben hat», sagte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Es würde seit Jahren mit einer Reihe von Maßnahmen versucht, Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter zu verhindern. Zu diesen gehöre auch, dass UNRWA die Liste mit Namen aller seiner Mitarbeitenden jährlich zur Prüfung durch die Geheimdienste nach Israel schickt, erzählt eine langjährige Mitarbeiterin des Hilfswerks. Israel habe damit ein indirektes Mitspracherecht beim Personal.

Experte Forti mahnt auch dazu, bei der Einschätzung UNRWAs realistisch zu bleiben: Aufgrund «der starken Verwurzelung der Hamas in der lokalen Bevölkerung ist es für das UNRWA schwierig sicherzustellen, dass seine Schutzmaßnahmen gegen Fehlverhalten des Personals oder die Umleitung von Hilfsleistungen unfehlbar sind», schrieb er in einer unabhängigen Analyse von Crisis Group, die UNRWA auf seiner Internetseite übernahm.

Warnung vor vorschnellem Urteil

Im persönlichen Gespräch wird deutlich, welche Schockwellen die Terrorwürfe im UN-System ausgelöst haben - dabei warnen Diplomatinnen und Diplomaten auch vor einem vorschnellen Urteil über die gesamte UNRWA-Belegschaft, von der im Gaza-Krieg bei Bombardements weit über 140 getötet wurden. Es werden Vergleiche gezogen: Waren nicht auch US-Militärangehörige am Sturm auf das Kapitol in Washington beteiligt? Und hatte die Bundeswehr nicht gerade einen Skandal bezüglich Rechtsradikalen in ihren Reihen?

Im Skandal um UNRWA spiegelt sich die Komplexität des Nahost-Konflikts. Ob und wie sich die Organisation verändern wird, hängt auch von der Begutachtung und den Empfehlungen der nun anlaufenden Prüfung ab. Fest steht dabei, dass die Vereinten Nationen viel Vertrauen zurückgewinnen müssen.

Die USA und Deutschland hatten das schnelle Handeln von Guterres bereits begrüßt. Der 74-jährige Portugiese - ebenfalls von Israel kritisiert und von Netanjahu ignoriert - sagte kürzlich, er sei «ein wenig überrascht» gewesen, als er in der Presse gelesen habe, dass man im israelischen Außenministerium nicht davon ausgegangen war, dass er angesichts der Anschuldigungen reagieren würde.

Doch er werde durchgreifen, auf welcher Ebene auch immer, sagt er. Schuldig ist er das nicht nur Israel und den Geldgebern - sondern auch zwei Millionen Menschen, die sich im Gazastreifen in Todesgefahr befinden.

Politik / Konflikte / Krieg / UN / UNRWA / Hamas / Gazastreifen / Israel / Palästinensische Gebiete / International
14.02.2024 · 17:45 Uhr
[2 Kommentare]
Lando Norris / McLaren (Archiv)
Melbourne - Lando Norris hat sich im Qualifying zum Auftakt der neuen Formel-1-Saison in Australien die Pole-Position gesichert. Der McLaren-Pilot setzte sich am Samstag in Melbourne mit einer Bestzeit von 1: 15.096 Minuten knapp gegen seinen Teamkollegen Oscar Piastri durch, der nur 0,084 Sekunden langsamer war. Max Verstappen (Red Bull) komplettierte die Top Drei mit einem Rückstand von 0,385 […] (02)
vor 51 Minuten
Eutelsat: Mit dieser Technik will die EU Elon Musks Starlink ersetzen
Elon Musks Satellitennetzwerk Starlink spielte in den letzten Jahren eine entscheidende Rolle im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, indem es die Anbindung ukrainischer Streitkräfte an das Internet sicherstellte. Kürzlich hat Elon Musk jedoch öffentlich erwägt, den Zugang zu Starlink in der Ukraine einzuschränken – ein Schritt, der das vom Krieg gebeutelte Land schwer treffen könnte. Deshalb […] (06)
vor 12 Stunden
US-Präsident Trump
Washington (dpa) - Bei einer ungewöhnlichen Rede im US-Justizministerium hat Präsident Donald Trump kritische Berichterstattung großer amerikanischer Medien über ihn als illegal bezeichnet. Fernsehsender wie CNN oder MSNBC, die zu «97,6 Prozent» negativ über ihn berichteten, seien der politische Arm der Demokratischen Partei, behauptete Trump während des Auftritts in Washington. «Sie sind wirklich […] (02)
vor 6 Stunden
game, remote, gamer, video, entertainment, technology, control, controller, gaming, console, computer, leisure, button, digital, electronic, xbox, one, gamer, gamer, gamer, gamer, gamer, gaming, gaming, gaming, xbox, xbox, xbox, xbox
Ein neuer Eintrag bei der amerikanischen Federal Communications Commission (FCC) sorgt für Vermutungen über einen möglichen GameCube-Controller für die kommende Switch 2. Das Dokument selbst enthält wenige Details, doch ein beigefügtes Bild zeigt eine auffällige Platzierung des Etiketts auf der Rückseite des Geräts. User auf Famiboards stellten fest, dass die Position exakt mit der Rückseite des […] (00)
vor 8 Stunden
Jeff Daniels geht zu Apple
Der bekannte Schauspieler wird in der Serie «Shrinking» mitwirken. Schauspieler Jeff Daniels wird in der dritten Runde der Serie Shrinking die Rolle von Jasons Segels Vater übernehmen. Neben Segel gehören auch Harrison Ford, Jessica Williams, Michael Urie, Lukita Maxwell, Christa Miller und Ted McGinley zur Besetzung der von der Kritik gefeierten Dramedy. Erst im Dezember endete die zweite Staffel der AppleTV+-Serie. Daniels spielte zuletzt in […] (00)
vor 1 Stunde
Grand Prix von Australien
Melbourne (dpa) - Vizeweltmeister Lando Norris hat die erste Pole Position der neuen Formel-1-Saison geholt. Der Brite verwies in einer packenden Schlussphase der Qualifikation zum Großen Preis von Australien seinen Teamkollegen Oscar Piastri bei dessen Heimauftritt auf den zweiten Platz. «Keine schlechte Art, das Jahr zu beginnen, gut gemacht. Unglaubliches Auto. Großartige Arbeit den ganzen Winter über, vielen […] (01)
vor 1 Stunde
Koffer weg? An diesen Flughäfen ist das Risiko am höchsten
Es ist eine der größten Sorgen von Reisenden: Man landet nach einem langen Flug, geht zur Gepäckausgabe – und der Koffer bleibt verschwunden. Auch wenn die Fluggesellschaften beteuern, dass sich die Situation verbessert hat, bleibt die Zahl der fehlgeleiteten oder verlorenen Gepäckstücke hoch. Laut dem Luftfahrt-IT-Unternehmen SITA wurden 2023 weltweit 36 Millionen Koffer falsch behandelt, verschlampt oder zu spät geliefert. Saarbrücken als […] (00)
vor 38 Minuten
Weltweit erste Vollintegration der IEC 61850 ins Anlagen-Engineering mit Engineering Base
Isernhagen, 14.03.2025 (PresseBox) - Auf dem Smart Grid Technical Forum 2025 vom 18. bis 20. März 2025 in Den Haag, Niederlande, präsentiert die Aucotec AG die weltweit erste Vollintegration der leittechnischen Definition von Umspannwerken nach IEC 61850 ins Anlagen-Engineering. Diese bahnbrechende Integration ermöglicht es Nutzern, normgerechte Datenmodelle direkt und effizient in einer einzigen Software-Plattform – Engineering Base – zu […] (00)
vor 15 Stunden
 
Korruptionsskandal in Münchens Ausländerbehörde
Illegale Einwanderung gegen Bargeld? Ermittlungen laufen München sieht sich mit einem massiven […] (00)
Autoproduktion (Archiv)
Berlin - In der Diskussion um neue Kaufanreize für Elektroautos in Deutschland hat sich IG- […] (00)
Britische Krankenschwester schuldig wegen Mordes an sieben Babys
Manchester (dpa) - «Monster auf Station», «Großbritanniens schlimmste Kindermörderin» und «Augen des […] (00)
Ukraine-Krieg - Kursk
Kiew/Moskau (dpa) - Russlands Streitkräfte kämpfen nach Gebietsgewinnen in der russischen Region Kursk […] (00)
Deutsche Bank erhöht Boni: Spitzenverdiener kassiert bis zu 18 Millionen Euro
Die Deutsche Bank hat ihre variable Vergütung deutlich angehoben. Der bestbezahlte Mitarbeiter […] (01)
Chappell Roan
(BANG) - Chappell Roan beteuert, dass ihre neue Country-Single nur "aus Spaß" entstanden ist. […] (00)
Bayern München - VfL Wolfsburg
München (dpa) - Dank Doppelpackerin Pernille Harder haben die Bayern-Fußballerinnen ihren […] (00)
Final Fantasy 16 verkauft sich schleppend – Warum interessiert es Fans nicht?
Warum bleibt der große Erfolg aus? Bereits vier Tage nach dem PS5-Launch am 22. Juni 2023 […] (00)
 
 
Suchbegriff