Investmentweek

Wie Japan Tarifverhandlungen ohne Arbeitskämpfe meistert

17. März 2025, 19:00 Uhr · Quelle: InvestmentWeek
Eine Tarifrunde ohne Warnstreiks? In Deutschland kaum vorstellbar. Doch Japan zeigt, dass Lohnverhandlungen auch ohne Stillstand funktionieren. Was steckt hinter dem einzigartigen Modell?

Während in Deutschland Kitas, Flughäfen und der Nahverkehr im Zuge der jüngsten Tarifauseinandersetzungen immer wieder lahmgelegt wurden, bleibt es in Japan bemerkenswert ruhig.

Dort sind Arbeitskämpfe eine Rarität. Tatsächlich verzeichnete Japan im Jahr 2023 mit rund 100.000 Streikenden eine Streikquote, die deutsche Gewerkschaften innerhalb weniger Tage übertreffen können. Die Streikausfallzeiten lagen zwischen 2020 und 2023 unter einem Tag pro 1.000 Beschäftigte – weit niedriger als in anderen Industriestaaten.

Warum gibt es in Japan kaum Streiks? Das liegt nicht etwa an fehlender Gewerkschaftsstruktur – mit einer gewerkschaftlichen Organisationsquote von 16 Prozent liegt Japan sogar auf einem ähnlichen Niveau wie Deutschland. Vielmehr ist es das Lohnfindungssystem selbst, das grundlegend anders funktioniert.

Individuelle Verhandlungen statt Branchenlösungen

Anders als in Deutschland gibt es in Japan keine branchenweiten Tarifverträge. Stattdessen werden Löhne individuell zwischen den Firmengewerkschaften und den Managements der jeweiligen Unternehmen ausgehandelt.

„Japanische Gewerkschaften sind oft betrieblich organisiert und verhandeln direkt mit ihrem Unternehmen, statt sich in großen Tarifgemeinschaften zusammenzuschließen“, erklärt Franz Waldenberger, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio.

In Japan gibt es keine flächendeckenden Branchentarifverträge, stattdessen verhandeln Betriebsgewerkschaften direkt mit dem Management. Das führt zu moderaten Lohnerhöhungen – aber auch zu fehlendem Druck auf Unternehmen.

Die Verhandlungen der großen Unternehmen dienen dann als Referenz für kleinere Firmen, die ihre eigenen Löhne daraufhin anpassen. Diese Struktur sorgt für eine hohe Dezentralisierung, aber auch für eine enge Verzahnung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Streiks in der öffentlichen Verwaltung? Verboten

Ein weiterer entscheidender Unterschied: Beschäftigte des öffentlichen Dienstes dürfen in Japan gar nicht streiken. Stattdessen legt eine staatliche Personalbehörde Gehaltserhöhungen fest – basierend auf allgemeinen wirtschaftlichen Trends.

Dieser Mechanismus wird von den Arbeitnehmern weitgehend akzeptiert, da der öffentliche Sektor in Japan sichere Jobs und vergleichsweise gute Gehälter bietet.

Zudem setzt Japan auf eine Kultur der Verhandlung statt der Eskalation. Konflikte werden meist hinter verschlossenen Türen gelöst, bevor es zu öffentlichen Protestaktionen kommt. „Scharfe Auseinandersetzungen versucht man zu vermeiden, stattdessen setzt man auf Kompromisse“, so Waldenberger.

Ein Streik, der keiner war

Die wenigen Streiks, die in Japan stattfinden, laufen oft völlig anders ab als in westlichen Ländern. So sorgte ein Arbeitskampf bei der Busgesellschaft Ryobi für Aufsehen: Die Fahrer fuhren ihre Routen weiter – aber kontrollierten keine Tickets. Fahrgäste konnten also kostenlos mitfahren, während der Arbeitgeber Einnahmeverluste verzeichnete.

Auch im Gesundheitswesen wurde ein einzigartiger Ansatz verfolgt: Bei einem Ärztestreik in 119 Krankenhäusern beteiligten sich jeweils nur zwei Beschäftigte – und das auch nur für eine Stunde pro Tag. So wurde der Protest sichtbar gemacht, ohne Patienten zu gefährden.

Lohnflexibilität als Schlüssel

Japans Unternehmen profitieren von einem Modell, das ihnen in Krisenzeiten größere Flexibilität bietet: Neben ihrem festen Gehalt erhalten Arbeitnehmer üblicherweise ein 13. und 14. Monatsgehalt als Bonus. Sollte es dem Unternehmen schlechter gehen, kann dieser Bonus einseitig gekürzt werden.

„Das Signal ist klar: Die Sicherheit des Arbeitsplatzes hat Priorität, die Löhne hingegen sind variabel“, erklärt Waldenberger. Das führt dazu, dass Arbeitnehmer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit geringeren Einkommen auskommen, statt Massenentlassungen hinnehmen zu müssen. Diese Denkweise ist tief in der japanischen Arbeitskultur verankert.

Mehr Unternehmensgewinne, stagnierende Löhne

Das japanische Modell hat Vor- und Nachteile. Einerseits hat es dazu beigetragen, dass das Land eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten der Welt hat – zuletzt lag sie bei nur 2,5 Prozent. Unternehmen können langfristig planen und massive Streikwellen wie in Deutschland oder Frankreich gibt es nicht.

Andererseits geht das System oft zulasten der Beschäftigten. Während die Unternehmensgewinne in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind, stagnieren die Reallöhne vieler Japaner. Zwischen Frühjahr 2022 und 2025 sanken die Löhne inflationsbereinigt um 3,7 Prozent.

Modell für Deutschland?

Kann Deutschland von Japan lernen? Die Unterschiede in den Wirtschaftssystemen und der Arbeitskultur sind erheblich. In Deutschland genießen Tarifverträge einen hohen Stellenwert und die Möglichkeit, zu streiken, ist ein zentrales Instrument der Gewerkschaften. Dennoch zeigt das japanische Modell, dass Verhandlungskultur und flexible Lohnsysteme Eskalationen verhindern können.

Finanzen / Education
[InvestmentWeek] · 17.03.2025 · 19:00 Uhr
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