Siemens löst sich von Healthineers – warum der Konzern jetzt einen historischen Schnitt wagt
Rund 15 Milliarden Euro an Healthineers-Aktien sollen an die Siemens-Aktionäre übertragen werden, wie der Konzern am Mittwochabend erklärte. Etwa 30 Prozent der Anteile werden „vorzugsweise in Form einer Direktabspaltung“ direkt in die Depots der Aktionäre gebucht. Siemens reduziert damit seine Beteiligung von bisher rund 67 Prozent auf etwa 37 Prozent.
Ein Schnitt, der seit Jahren vorbereitet wurde
Die Abspaltung ist kein Schnellschuss, sondern folgerichtiger Bestandteil der „One-Tech-Company“-Strategie von CEO Roland Busch. Was jahrelang als Gemischtwarenkonzern von Zügen über Kraftwerke bis zu bildgebender Medizintechnik reichte, soll zu einem konsequent fokussierten Tech-Unternehmen werden. Die künftigen Kernelemente:
- Digital Industries (Automatisierung, Software)
- Smart Infrastructure (Gebäude, Energieeffizienz)
- Mobility (Zug- und Verkehrstechnik)
Healthineers passt in dieses Bild immer weniger – trotz hoher Profitabilität. Busch formuliert es nüchtern: Nur mit einem „hochgradig synergetischen Portfolio“ könne Siemens langfristig wachsen.
Finanzvorstand Ralf Thomas, der den Schritt seit Jahren vorbereitet hat und nun vor dem Abschied steht, spricht von mehr Transparenz, weniger Komplexität und besseren Kapitalmarktbedingungen für beide Seiten. Für Thomas ist die Abspaltung ein Vermächtnis – er soll später Aufsichtsratschef bei Healthineers werden. Ihm folgt Vorstandsmitglied Veronika Bienert als neue CFO ab 2026.
Warum der Ausstieg für beide Seiten sinnvoll sein kann
Healthineers ist mit seinen über 70.000 Mitarbeitern einer der globalen Schwergewichte in der Medizintechnik. Ob MRT, CT, Diagnostik oder Strahlentherapie (seit der Übernahme von Varian): Das Unternehmen ist hochprofitabel und erwirtschaftete zuletzt knapp 2,2 Mrd. Euro Gewinn. Genau deshalb bindet die Beteiligung so viel Kapital – Kapital, das Siemens für seine digitalen Wachstumsfelder benötigt.
Für Healthineers selbst ist die neue Freiheit ein Vorteil: ein klareres Profil, eigenständigere Kapitalstrategien, weniger Konzernabhängigkeit.
Betriebsrat und IG Metall stehen hinter dem Schritt. Entscheidend waren Garantien für Beschäftigte, Standortsicherung und Tarifbindung. Der zentrale Satz von IG-Metall-Vize Jürgen Kerner bringt es auf den Punkt: „Technologisch passt Healthineers auf Dauer nicht mehr wirklich zu den Kernelementen von Siemens – und hat eigenständig bessere Chancen.“
Blaupause Siemens Energy – das Modell hat bereits funktioniert
Siemens kennt Strukturumbauten. Die Abspaltung von Siemens Energy im Jahr 2020 gilt rückblickend als Erfolg: Der Aktienkurs der Energiegesellschaft hat sich vervielfacht, Siemens selbst deutlich an Wert gewonnen. Nur die Healthineers-Aktie blieb eine Ausnahme – sie tritt seit dem Börsengang 2018 weitgehend auf der Stelle.
Nun soll der Knoten gelöst werden.
Kapitalmarkt reagiert gelassen – Risiken bleiben
An der Börse war die Entscheidung eingepreist. Die Siemens-Aktie legte zeitweise zwei Prozent zu, bevor sie wieder leicht zurückfiel. Anleger hatten die Trennung schon länger gefordert, weil die Synergien fehlten und Healthineers enorme Investitionen verschlang.
Doch eines bleibt: Healthineers trägt rund 30 Prozent der Siemens-Umsätze bei. Die Trennung macht den Konzern zunächst kleiner – und zwingt ihn, in den Kerngeschäften schneller zu wachsen. Genau das ist der Kern der „One-Tech-Company“-Strategie, die Busch auf dem Kapitalmarkttag detailliert vorstellen will.
Das große Bild
Für Siemens markiert der Schritt einen historischen Punkt. Die Medizintechnik gehört seit über einem Jahrhundert zur DNA des Konzerns. Doch die industrielle Welt, auf die Busch zusteuert, folgt anderen Gesetzmäßigkeiten: KI, Automatisierung, Software-Plattformen, Datencenter, Industrie 4.0.
In dieser Zukunft sieht Siemens für Healthineers keinen natürlichen Platz mehr.


