Karlsruhe vor Grundsatzurteil zu Datenspeicherung

Karlsruhe (dpa) - Im Grundsatzverfahren um die Speicherpflicht von Telefon- und Internetverbindungsdaten haben die Karlsruher Verfassungsrichter Zweifel an der weitreichenden Nutzbarkeit der Daten erkennen lassen.

Es sei fraglich, ob der Bundesgesetzgeber nicht klarere Grenzen für den Abruf der Daten zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung hätte ziehen müssen, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier am Dienstag bei einer Anhörung in Karlsruhe.

Im bisher umfangreichsten Massenklageverfahren in der Geschichte des Gerichts - fast 35 000 Bürger haben Beschwerde eingelegt, über gut 60 Verfahren wurde exemplarisch verhandelt - will das Gericht grundsätzlich über die Zulässigkeit der seit 2008 geltenden Speicherpflicht entscheiden. Mit einem Urteil ist erst im Frühjahr zu rechnen.

Während Kläger vor einem «Dammbruch» bei der Einschränkung von Grundrechten warnten, pochten Sicherheitsbehörden auf die Notwendigkeit der Speicherung für die Aufklärung von Straftaten. «Die technische Entwicklung lässt die klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit immer mehr ins Leere laufen», sagte Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts. Das Internet ermögliche die Bildung dezentraler und transnationaler krimineller Netze, die ohne die Vorratsdaten nicht aufzudecken seien. «Die sechsmonatige Speicherung ist das Minimum», so Ziercke.

Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch sagte, das Gesetz berühre den «Kern der Persönlichkeit» der Bürger. Gespeichert werde «jeder elektronische Atemzug» unverdächtiger Bürger, betonte Hirsch, der Kläger und zugleich Anwalt einer der drei Klägergruppen ist. «Der Staat soll den Bürger schützen, aber er muss ihn respektieren. Und er darf ihn nicht ohne jeden Anlass wie einen Straftäter behandeln.»

Auch der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, der rund 34 900 Kläger vertritt, mahnte eindringlich: «Ist dieser Weg einmal freigegeben, ist die gesamte Erfassung des Alltags die Folge.» Der Grünen-Politiker Volker Beck, der mit mehr als 40 Abgeordneten seiner Partei in Karlsruhe geklagt hat, warnte vor einem «schwarzen Tag für die Magna Charta des Datenschutzes».

Zu den Beschwerdeführern gehört auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die aber wegen ihres «Rollenkonflikts» als amtierende Bundesjustizministerin nicht selbst nach Karlsruhe gekommen war. Ihre Staatssekretärin Birgit Grundmann sagte, man erwarte die Entscheidung «mit großem Interesse» - auch mit Blick auf die derzeit diskutierte Speicherung von Fluggastdaten.

Einige Richter gaben Zweifel an dem Gesetz zu erkennen. Christine Hohmann-Dennhardt warf die Frage auf, ob eine Speicherung unbegrenzt zulässig sein dürfe und Beschränkungen nur für den anschließenden Abruf gelten sollten. Auch Johannes Masing, als «Berichterstatter» federführend im Senat, fragte nach einer grundsätzlichen Grenze: Nach der Logik des Gesetzes können ja sonst auch Bahnfahrten oder Einkäufe gespeichert werden.

Nach dem seit 2008 geltenden Gesetz, das eine EU-Richtlinie umsetzt, werden Verbindungsdaten aus der Telefon-, Mail- und Internetnutzung sowie Handy-Standortdaten für sechs Monate gespeichert; Gesprächs- und Mail-Inhalte sind nicht betroffen. Abrufbar sind sie für Zwecke der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr. Das Gericht hat die Anwendbarkeit des Gesetzes vergangenes Jahr mit zwei einstweiligen Anordnungen vorerst eingeschränkt.

Nach den Worten des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar speichern manche Telekommunikationsdienstleister mehr als gesetzlich vorgeschrieben - auch, um mögliche Bußgelder zu vermeiden. Ein großer Anbieter registriere beispielsweise die Standortdaten sogenannter Smartphones im Viertelstundentakt, anstatt nur Beginn und Ende der Verbindung. «Das halte ich für einen sehr schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte.»

Experten machten deutlich, dass sich aus den Daten weitreichende Erkenntnisse über das private und berufliche Umfeld der Betroffenen herauslesen lassen. Handys werden nach den Worten von Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) zu «immer genauer werdenden Ortungswanzen in den Taschen der Nutzer». Nach Ansicht des Datenschutzexperten Andreas Pfitzmann von der Technischen Universität Dresden können Terroristen oder Kriminelle die Datenkontrolle mit technischen Mitteln umgehen.

Prozesse / Innere Sicherheit / Datenschutz
15.12.2009 · 18:59 Uhr
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