Hirnforschung: Schmerzen durch Stromstöße verbessern das Gedächtnis
Es sind oftmals ziemlich eindrucksvolle Ereignisse, die lange in unserem Gedächtnis verweilen. Dinge aus dem alltäglichen Leben, die ebenfalls wichtig sein können, vergessen wir unter Umständen auch schnell wieder. Eine aktuelle Studie zeigt, dass auch Schmerzen das Langzeitgedächtnis prägen und schwache Erinnerungen verstärken können. Forscher führten dabei Experimente mit Stromstößen durch.
Unangenehme Stromstöße verbessern die Gedächtnisleistung
Jeden Tag prasseln eine Menge Informationen auf uns ein. Wir lernen stets Sachen dazu, bilden uns fort, probieren wichtige Informationen von unwichtigen zu trennen ohne genau zu wissen welchen Input wir in der Zukunft noch einmal benötigen. US-Forscher haben in einem aktuellen Beitrag im Wissenschaftsmagazin “Nature” eine neue Studie veröffentlicht die zeigt, wie Informationsschnipsel aus der Vergangenheit aus der geballten Datenflut herausgesiebt und das Gedächtnis speziell auf diese relevanten “Nuggets” erheblich verbessert werden kann.
Das Team rund um Lila Davachi von der New York University wählte für die aktuelle Studie 119 Freiwillige aus, die einen bunten Mix, bestehend aus 180 verschiedenen Bildern, gezeigt bekamen. Die eine Hälfte der Bilder zeigte Tiere, die andere Hälfte Werkzeuge. Zu Beginn und zum letzten Drittel der Dia-Show verlief alles normal und ohne Einwirkungen auf die Probanden. Im Mittelfeld also bei dem Paket mit 60 Dias bekamen die Probanden jeweils zur Hälfte also entweder bei allen Tier oder Werkzeug-Abbildungen leichte aber dennoch unangenehme Stromstöße über die Handgelenke verpasst.
Bis zu 24 Stunden nach dem ersten Test, überraschten die Forscher die Probanden mit einem unangekündigten Gedächtnistest. Dabei sollten die bereits im Experiment betrachteten 180 Bilder von 180 neuen Tier- und Werkzeugbildern unterschieden werden. Das Studienergebnis überraschte die Forscher nicht, dennoch sorgen diese bei den Probanden für eine kleine Sensation. Die mit Stromstößen unterlegten Bilder brannten sich wortwörtlich besser in das Gehirn der Probanden ein. “Wir wissen schon länger, dass Gefühle dabei helfen, Informationen langfristig zu erinnern”, so Lila Davachi in dem aktuellen Beitrag. So greifen beispielsweise Gedächtniskünstler schon länger auf diese auf dem ersten Blick eher ungewöhnlich erscheinende Lernmethode.
Das Gedächtnis kann gezielt in die Vergangenheit zurück greifen
Das Ergebnis ist folgendermaßen zu erklären. Das limbische System des Gehirns, welches auch als Gefühlszentrum bezeichnet wird, ist darauf trainiert bei positiven aber auch negativen Ereignissen Botenstoffe auszusenden. Die Botenstoffe sorgen wiederum dafür, dass es zu einer Verbesserung der Signalübertragung zwischen den einzelnen Nervenzellen kommt. Dieser Effekt führt letztlich dazu bei, dass unsere Erinnerungen verstärkt werden. Der Lerneffekt wirkte sich übrigens auch auf die Bilder aus dem letzten Drittel positiv aus. Obwohl hier keine Stromstöße abgegeben wurden, prägten sich die Probanden auch diese Bilder recht gut ein. Die Forscher sind auch von diesem Ergebnis nicht sonderlich überrascht. “Wenn ein Hund mich schmerzhaft gebissen hat, ist es sinnvoll, sich diese Erfahrung nicht nur zu merken, sondern sich Hunde auch für die Zukunft als Gefahrenquelle gut einzuprägen, um sie künftig vermeiden zu können”, hält Davachi weiter fest.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Probanden sich nicht nur an die Tier- oder Werkzeugbilder besser erinnern konnten, welche mit Stromstößen gezeigt wurden, sondern generell an die Bilder aus der Kategorie. Das trifft somit auch für die Bilder zu, die vor der Einheit mit den Stromstößen betrachtet wurden. “Das Gedächtnis kann scheinbar ganz gezielt in die Vergangenheit zurückgreifen und nur diejenigen Erinnerungen gezielt verstärken, deren Bedeutung in der Zukunft zugenommen hat”, heißt es weiter. “Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es hilfreich sein könnte, schwierig zu lernende Informationen mit thematisch verwandten, emotionalen Erfahrungen zu verbinden” ergänzt Roger Redondo vom Massachusetts Institute of Technology, der ebenfalls laut Spiegel Online Forschungen darüber betreibt, wie unser Gedächtnis die Vergangenheit modelliert.
Weitere Studien zum rückwirkenden Lernprozess werden angestrebt
Es sollen in Zukunft noch weitere Studien angestrebt werden, die fundiertere Hinweise auf einen rückwirkenden Lernprozess in unserem Gehirn liefern. Die neuen Erkenntnissen sollen dann unter anderem auch für Untersuchungen von Angst- und Traumapatienten zur Hand genommen werden. Psychologen gehen davon aus, dass die aktuellen Ergebnisse aus der US-Studie auch positiven Ergebnissen wie etwa einem Lob erzielt werden können. Somit würde man das ethische Problem der Schmerzreize umgehen. Die Experten sehen zudem die Gefahr, dass die negativen Emotionen, die durch Schmerzen manifestiert werden aber einer gewissen Intensität oder Regelmäßigkeit auch kontraproduktiv für die Gedächtnisleistung sein können.
Bis die aktuellen Erkenntnisse aus der Stromreiz-Studie eine gewisse praktische Relevanz erfahren wird wohl noch ein wenig Zeit vergehen.