Dresdner «Sturheit» blamiert Denkmalschutz
Bei der dritten Überprüfung der bereits 2006 auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten gesetzten Flusslandschaft riss der bisher zögerlichen UNESCO der Geduldsfaden. Das Welterbekomitee machte bei seiner Sitzung in Sevilla (Spanien) ernst und votierte mit 14 zu 5 Stimmen bei zwei Enthaltungen genau mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit für die Aberkennung des begehrten Welterbetitels. Damit ist weltweit erstmals eine Kulturstätte betroffen.
Dem Gremium blieb nach mehreren Warnungen an die Verantwortlichen in Dresden keine andere Wahl. «Wenn diese so konsequent in den Wind geschlagen werden, muss die UNESCO die Konsequenzen ziehen», meinte der Deutsche Kulturrat. Sonst würde die UNESCO unglaubwürdig. Der letzte Akt fiel Sitzungspräsidentin María Jesús San Segundo dennoch schwer, als sie verkündete: «Damit ist Dresden von der Liste gestrichen.» Sie sprach sichtlich bewegt von einem «traurigen Moment».
Den Schritt hatte das Gremium vor einem Jahr angekündigt, falls die von der UN-Kulturorganisation kritisierte Waldschlößchenbrücke weitergebaut wird. Dieser sorglose Umgang der Verantwortlichen an der Elbe mit dem begehrten Titel bedeutet für den deutschen Denkmalschutz einen Renommee-Verlust. Gilt das Mutterland des Denkmalschutzes doch als vorbildlicher Unterzeichner der Welterbekonvention. «Dresden ist ein Einzelfall», betonte der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Gloser. Für den Deutschen Kulturrat hat Dresdens «Sturheit» dem Kulturstaat Deutschland einen Bärendienst erwiesen. «Deutschland ist in der Welt blamiert!»
Andere wie die Kölner hatten in letzter Minute eingelenkt: Der berühmte Dom stand zwei Jahre auf der Roten Liste und im Fall des geschützten Rheintals bei der Loreley kooperiert die Landesregierung wegen einer ebenfalls erwogenen Brücke vorbildlich mit dem Pariser Welterbezentrum. Die Verantwortung für das Dresdner Desaster wird auch bei Bundesregierung und Deutschem Bundestag gesehen. FDP und Kulturrat fordern als Konsequenz ein nationales Ausführungsgesetz zur Umsetzung der Welterbekonvention in Deutschland. Ohne ein solches Gesetz gebe es offenbar kein rechtliches Instrumentarium, um alle Länder und Kommunen zur Einhaltung der Verpflichtungen aus der UNESCO-Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt anzuhalten, hieß es.
Die Verantwortlichen an der Elbe hatten sich stets auf einen Bürgerentscheid pro Waldschlößchenbrücke von 2005 verweisen. Tatsächlich war das Votum von 67,9 Prozent der Beteiligten für das gut 156 Millionen Euro-Projekt das größte Hindernis für den von der UNESCO zuletzt geforderten Kurswechsel hin zu einem Tunnel. Eine politische Entscheidung gegen ein demokratisches Votum schien vielen in dem Teil Deutschlands, der sich die Freiheit erst 1989 zurückerobert hatte, unmöglich. Appelle von Bundespolitikern, Institutionen, Künstlern und Prominenten wurden ignoriert.
Über diesen Mangel an Kooperation und die Sturheit ist man auch in Paris «überhaupt nicht glücklich». Daher war ziemlich klar, dass das Gütesiegel für Dresden Geschichte sein müsse. «Sonst macht künftig jeder, was er will mit dem Welterbe», sagte ein Mitarbeiter. In Sevilla gab es trotzdem auch Bemühungen, Dresden noch ein Jahr für einen Kompromiss zu geben. Die letzte Mission von Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) indes verpuffte in der südländischen Hitze: die angestrebte Vertagung bis nach Fertigstellung der Brücke.
Die UNESCO hatte das Elbtal 2006 auf die Rote Liste gesetzt, da die Brücke die wertvolle Kulturlandschaft an ihrer schönsten Stelle zerschneiden und irreversible Schäden anrichten würde. Im Sommer 2007 gewährte sie eine erste Gnadenfrist mit der Auflage, auf das Bauwerk zu verzichten. Wenige Monate später begannen ungeachtet dessen die Bauarbeiten. 2008 erging dann ein letztes Ultimatum, verbunden mit der Forderung nach Prüfung einer Tunnelalternative. Anträge auf einen Baustopp und ein neues Bürgerbegehren pro Tunnel aber scheiterten.
Das corpus delicti indes wächst weiter, ins Grün der Elbauen hat sich längst grauer Beton gemischt. Bald kommt der Stahl für das «Monstrum», wie Kritiker die Konstruktion nennen, die auch der UNESCO zu wuchtig ist. Eine so drastische Maßnahme wie den Titelentzug wandte diese in ihrer Geschichte erst einmal an - gegenüber einer Naturschutzregion im Oman. Nun reihte sich das Dresdner Elbtal als erste Kulturstätte ein. Während die Welterbehüter in Sevilla noch über die Kriterien einer späteren Wiederaufnahme des Elbtals diskutierten, kündigte die Stadtverwaltung die Freigabe der ersten fertigen Straße des Verkehrszuges Waldschlößchenbrücke an.