Anno 117: Pax Romana im Test – Die ultimative Aufbaustrategie im Römischen Reich?
Die Sonne kriecht über die Zypressenhügel, taucht die frisch verlegten Pflastersteine der Marktstraße in ein güldenes Licht und lässt das tiefblaue Mittelmeer wie ein Versprechen glitzern. Unten am Hafen herrscht emsiges Treiben, während oben auf dem Hügel das neue Forum langsam Gestalt annimmt. Ein Gefühl von Stolz und schöpferischer Freude durchströmt mich, als ich auf meine wachsende römische Provinz blicke. Es hat lange gedauert, doch mit Anno 117: Pax Romana hat es endlich Klick gemacht. Meine Beziehung zu dieser ehrwürdigen Spielereihe war, zugegebenermaßen, nicht immer von Harmonie geprägt. Mein später und etwas holpriger Einstieg mit dem futuristischen Anno 2205 fühlte sich nie ganz richtig an. Doch hier, im opulenten Gewand des Römischen Reiches, fühle ich mich zu Hause. Zwar kann die komplexe Ökonomie noch immer spektakulär aus dem Gleichgewicht geraten und Dich in eine Abwärtsspirale des Scheiterns stürzen, die einem den kalten Schweiß auf die Stirn treibt. Aber die resplendenten Mechaniken für Handel, Seekrieg und das delikate Amalgam der Kulturen reichen Dir stets eine Hand, um das Ruder wieder herumzureißen. Bist Du bereit, Dein eigenes Imperium zu errichten? Dann schnall Dich an, denn diese Reise wird grandios.
Das Fundament Roms: Wohnen, Wuseln und Wachsen
Im Kern folgt Anno 117 der altbekannten und bewährten Routine, die Veteranen der Serie sofort wiedererkennen werden. Du beginnst mit dem Bau bescheidener Wohnstätten für die hart arbeitenden Liberti, also den freigelassenen Bürgern – ein eleganter Kniff, um die unschöne Thematik der römischen Sklaverei zu umschiffen. Sind ihre Grundbedürfnisse nach Wasser, Nahrung und Gemeinschaft gedeckt, können sie auf der sozialen Leiter aufsteigen, bis hin zu den versnobten Patriziern, die nach exotischen Delikatessen und luxuriösen Annehmlichkeiten aus aller Herren Länder verlangen.

Was diese Beförderungen antreibt, ist zum einen der stadtweite Zugang zu Waren. Ein anderer, weitaus faszinierenderer Aspekt ist jedoch die unmittelbare Umgebung. Deine Bürger wollen in der Nähe prestigeträchtiger Gebäude wie Theater und Schreine leben, aber tunlichst weit weg von unliebsamen oder umweltverschmutzenden Betrieben wie einer Köhlerei. Ich liebe es, wie sich dadurch ganz organisch Ballungszentren für die Oberschicht an den wichtigen Magistralen bilden, die zu den Rändern hin in Arbeiterviertel mit Industriecharakter übergehen. Es verleiht der Stadt das Gefühl eines echten, lebendigen Organismus. Und da gepflasterte Straßen die Reichweite dieser Gebäude erhöhen, ist dies eine jener Aufwertungen, deren positiven Effekt Du unmittelbar auf der Karte ablesen kannst – ein ungemein befriedigender Moment.
Ein Augenschmaus mit kleinen Schönheitsfehlern
Es ist ein genuines Vergnügen, ganz nah heranzuzoomen und meinen kleinen, in Togen gekleideten Bürgern bei ihrem Tagewerk zuzusehen. Jedes Gebäude, von der stattlichen Villa bis zur idyllischen Lavendelfarm, strotzt nur so vor Details und Charakter. Selbst die unberührten grünen Wiesen und das friedliche blaue Wasser, erfüllt von Meereslebewesen, erzeugen eine unglaublich dichte Atmosphäre und ein starkes Gefühl der Verortung. Die Charaktermodelle der Anführer und Berater sind vielleicht das einzige Element, das mich nicht aus den Sandalen gehauen hat. Sie sind zwar voller Persönlichkeit, doch besonders in einigen Zwischensequenzen der Kampagne fielen mir erhebliche Probleme bei der Lippensynchronität auf. Das wirkte bisweilen wie aus einem viel älteren Spiel oder wie bei einem schlecht synchronisierten Italo-Western und trübte die ansonsten makellose Präsentation ein wenig.
Latium, Albion und das Triumvirat des Handels
Das sommerliche Paradies Latium ist nicht der einzige Schauplatz, den es zu erkunden und zu kultivieren gilt. Schließlich schaltest Du die Möglichkeit frei, ins neblige, felsige Albion – das heutige Britannien – zu segeln, das mit eigenen Ressourcen, einer eigenen Ästhetik und einer eigenen Bevölkerung aufwartet. Ich hatte die Befürchtung, Anno würde sich hier zu sehr an klischeehaften Stereotypen über „mystische Kelten“ bedienen, wie es das Marketing teils andeutete. Tatsächlich ist die Darstellung aber erfreulich bodenständig und sensibel geraten. Die wirklich interessante mechanische Entscheidung, die Du in dieser Region triffst, ist, ob Du den keltischen Traditionen treu bleibst oder Deine neuen Untertanen vollständig romanisierst. Beides hat Vor- und Nachteile, und im späteren Spielverlauf kannst Du sogar Elemente mischen und anpassen, um mächtige Synergien zu erzielen.

Sein wahres, pulsierendes Herz offenbart Anno 117 jedoch erst mit seinem filigranen Handelssystem. Um die unersättlichen Bedürfnisse der Adligen in beiden Regionen zu befriedigen, musst Du Produktionsketten für Luxusgüter aufbauen, die Ressourcen von zwei oder drei verschiedenen Inseln benötigen und diese dann über die Weltkarte von einer Region zur anderen verschiffen. Jede Lieferung erfordert einzelne Schiffe, die den Handelsrouten zugewiesen sind. So kann ich jederzeit exakt sehen, wo sich meine nächste Käselieferung befindet und sie bei Bedarf sogar umleiten. Dieses Mikromanagement ist ein Füllhorn für jeden Tüftler.
Dank der hervorragend organisierten Benutzeroberfläche ist all das relativ einfach einzurichten und anzupassen. Es schafft ganz natürlich Anreize, kleinere Dörfer zu errichten, die sich auf eine einzige Aufgabe spezialisieren, sowie Lagerhäuser und Wegstationen zu bauen, um den Warenfluss zu beschleunigen. Meine Käseinsel lag beispielsweise sehr weit entfernt, sodass meine Handelsschiffe die halbe Zeit nur mit der Überfahrt innerhalb Albions beschäftigt waren. Die Lösung? Ich gründete eine Kolonie in der Nähe, die im Grunde nur aus einem Käselager und einigen Fischereien zur Selbstversorgung bestand. Nun konnte ich den Käse permanent mit regionalen Handelsschiffen dorthin verfrachten, wo er dann gebündelt von den großen Transportschiffen am Kartenrand abgeholt wurde. Ich vergöttere diese Art von logistischem Puzzlespiel.
Wenn die Galeeren in See stechen: Krieg und Diplomatie
Anno 117 ist obendrein ein ziemlich gutes Echtzeitstrategiespiel. Besonders angetan hat es mir der Seekampf, den ich schnell meistern musste, um meine wertvollen Handelsrouten vor immer dreisteren Piraten zu schützen. Das Manövrieren der Schiffe fühlt sich wuchtig und realistisch an, mit spürbaren Unterschieden in der Wendigkeit, je nachdem, ob sie auf Segel, Ruder oder beides angewiesen sind. Mit der Zeit wurde ich ziemlich gut darin, ein flinkes kleines Piratenschiff in einer Bucht einzukesseln, aus der es kein Entkommen mehr gab – ein triumphaler Moment.
Das Bodenkampfsystem ist… in Ordnung. Es erfüllt seinen Zweck, mit einer kleinen Auswahl an Nahkampf-, Fernkampf- und Belagerungseinheiten, die eine Handvoll verschiedener Rollen ausfüllen. Es ist durchaus möglich, erfolgreich zu sein, ohne jemals eine Landschlacht zu schlagen, wenn Deine Marine stark genug ist. Aber in den wenigen Fällen, in denen ich mich darauf einließ, entdeckte ich einige interessante taktische Finessen. Es fühlt sich zumindest wie ein echtes Strategiespiel an und nicht wie ein halbgares Minispiel, was ich sehr zu schätzen weiß.
Die Diplomatie ist eher Hausmannskost, mit einer einzigen interessanten Wendung: Der Kaiser funktioniert ein wenig anders als andere Fraktionen. Du kannst keine Verträge mit ihm aushandeln, aber er wird Forderungen an Dich stellen. Erfolg, Misserfolg oder Verweigerung beeinflussen Deinen Ruf in Rom. Wenn er Dich mag, erhältst Du Boni. Wenn nicht, hagelt es Strafen. Beide Extreme der Skala gipfeln jedoch in sehr mächtigen Belohnungen. Entweder spielst Du brav mit und wirst zum Konsul ernannt, oder Du widersetzt Dich seiner Autorität so effektiv, dass Du Dir selbst, ganz im Stile Cäsars, prokonsularische Autorität verleihst.
Eine kurze Geschichte für die Ewigkeit? Kampagne vs. Endlosspiel
Es gibt eine solide Story-Kampagne, aber sie ist im Grunde nicht mehr als ein ausgedehntes Tutorial. Ich habe weniger als 10 Stunden gebraucht, um sie abzuschließen, und sie kratzt nur an der Oberfläche der Mechaniken, mit denen Du im Endlosmodus spielen kannst. Du kannst entweder als Marcus oder Marcia spielen, wobei letztere eine herrlich-absurde „Weekend at Bernie’s“-Parodie ist, bei der Du die Amtsgeschäfte Deines ganz und gar nicht toten Ehemanns übernimmst. Das ist kein Shakespeare, aber es gibt einige interessante Intrigen und eine Riege denkwürdiger Charaktere. Der kanaanitische Begleiter Ben-Baalion war ein besonders liebenswerter Kamerad, der mich am Ende vor eine emotional befriedigende Wahl stellte.

Während Du nach dem Ende der Kampagne beliebig weiterspielen kannst, verbrachte ich den Großteil meiner Zeit im Endlosmodus. Dieser lässt Dich entweder in Albion oder Latium starten und bietet eine breite Palette an Schwierigkeitsoptionen. Du kannst sogar aus einer Reihe von rivalisierenden Statthaltern mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und Spielstilen wählen. Ich glaube allerdings nicht, dass sie sich an dieselben Regeln halten wie Du. Wenn ich mir einige ihrer spät im Spiel errichteten Städte ansehe… habe ich ehrlich gesagt keine Ahnung, was da vor sich geht. Nichtsdestotrotz können sie fesselnde Gegner oder wertvolle Handelspartner sein.
Die Krux mit der Todesspirale und andere Anno-Tücken
Einige klassische Anno-Probleme sind immer noch präsent, wie die Tatsache, dass sehr große Wirtschaftssysteme unhandlich werden und anfällig für Todesspiralen sind. Wenn die Nahrungsversorgung unterbrochen wird, sinkt die Bevölkerung, was dazu führt, dass die Nahrungsbetriebe unterbesetzt sind, was zu noch weniger Nahrung und einem weiteren Bevölkerungsrückgang führt. Ein Teufelskreis. An einem Punkt musste ich einen Spielstand neu laden, weil ich versehentlich den Schutzgott einer großen Stadt gewechselt hatte, was sie aufgrund verlorener landwirtschaftlicher Boni sofort insolvent und nahezu unrettbar machte.
Aber auch hier erweist sich der Handel wieder als Held in der Not. Das Einrichten von Kaufaufträgen für alles, was Dir ausgeht, kann Dich aus vielen brenzligen Situationen retten, solange Du über Bargeld verfügst. Es ist anfangs etwas fummelig, viele verschiedene Handelsgeschäfte an vielen verschiedenen Häfen einzurichten, aber die Benutzeroberfläche ist leicht zu bedienen. Und als die Dinge einmal liefen, musste ich nur noch selten eingreifen.


