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Wenn der Staat vor Ort ausfällt

20. April 2025, 14:00 Uhr · Quelle: InvestmentWeek
Wenn der Staat vor Ort ausfällt
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Tübingen erwirtschaftete 2021 noch 40 Millionen Euro Überschuss – 2025 droht ein Minus von 60 Millionen Euro. Ursache sind gestiegene Sozialausgaben, sinkende Gewerbesteuern und ausbleibende Bundesmittel.
In Tübingen zeigt sich exemplarisch, was bundesweit Realität wird: Selbst wirtschaftlich starke Kommunen geraten unter Druck – und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik droht zu kippen.

Einbruch an der Basis

Boris Palmer steht in einer Turnhalle, in der das Wasser von der Decke tropft. Kein symbolisches Bild – sondern bittere Realität in einer Stadt, die sich über Jahre zur Vorzeigekommune gemausert hatte.

Klimaneutralität, Vorzeigeprojekte, wirtschaftliches Wachstum. Heute diskutiert Tübingen über Fahrplanausdünnung, Hallenbadschließungen und kaputte Dächer. Die Kasse ist leer, die Stimmung gereizt.

Tübingen ist nicht allein. 95 der 100 größten Städte in Deutschland sagen inzwischen, dass sie ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen können.

2024 verzeichneten die Kommunen ein Rekorddefizit von 24,3 Milliarden Euro – eine Vervierfachung innerhalb eines Jahres. Es geht nicht mehr um Extras, sondern um die Substanz. Schwimmbäder, Busverkehr, Schulturnhallen.

Was passiert, wenn Leistungsträger abspringen

Palmer nennt es „Entfremdung“. Wenn selbst Bürger, die über Jahre den Wandel der Stadt mitgetragen, mitfinanziert und unterstützt haben, sich plötzlich fragen, ob sich all das noch lohnt.

„Wenn Leistungsträger denken, sie arbeiten nur noch für andere“, sagt Palmer, „kippt die Stimmung.“

Seine Sorge ist keine akademische. In vielen Gemeinden, auch rund um Tübingen, holte die AfD zuletzt 20 Prozent und mehr. Der Nährboden: Frust, Kontrollverlust, fehlende Erklärungen für die sichtbare Verschlechterung vor Ort.

Ein Radweg weniger? Geschenkt. Aber wenn Busse nicht mehr fahren und Schwimmhallen schließen, wird Politik konkret. Dann wird auch Wut konkret.

Systemfehler mit Ansage

Tübingen trifft es nicht, weil dort schlecht gewirtschaftet wurde. Die Stadt erwirtschaftete noch vor zwei Jahren einen Überschuss von 40 Millionen Euro. Heute rechnet Palmer mit einem Minus von 60 Millionen.

Die Gründe: drastisch gestiegene Personalkosten, wegbrechende Gewerbesteuer, bundespolitische Vorgaben, die die Kommunen mitfinanzieren müssen – ohne dass Mittel vom Bund mitgeliefert werden.

Beispiele dafür gibt es genug: das Deutschlandticket, das Einnahmen im ÖPNV reduziert. Tariferhöhungen, die zentral verhandelt werden, aber kommunale Etats belasten. Sozialausgaben, die steigen – aber aus demselben Topf finanziert werden sollen wie Investitionen in Infrastruktur. Palmer nennt es „ein System, das seine eigene Tragfähigkeit überschreitet“.

Was in Tübingen kippt – und was das für Deutschland heißt

Wenn selbst in einer wirtschaftlich starken Kommune wie Tübingen die öffentliche Daseinsvorsorge zerfällt, ist das mehr als ein Einzelfall. Es ist ein Frühindikator für das, was andernorts bereits Alltag ist. In Kaiserslautern fehlen Schulsozialarbeiter.

95 der 100 größten deutschen Städte melden, dass sie ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen können. Ein strukturelles Problem – das längst nicht mehr nur strukturschwache Regionen betrifft.

In Köln werden Gelder für Sportanlagen gestrichen. In Dresden werden Millionen im Nahverkehr eingespart. Die Liste ist lang, der Trend klar.

Kommunalpolitiker fühlen sich im Stich gelassen. Aufgaben steigen, Mittel schrumpfen, Einfluss auf die Rahmenbedingungen haben sie kaum. Ein Bürgermeister kann keine Tarifrunde neu verhandeln. Aber er muss die Rechnung bezahlen.

Die Architektur des Frusts

Was Bürger erleben, ist ein Staat, der nur noch fordert – aber kaum noch liefert. Der Gesetze macht, aber keine Ausnahmen erlaubt. Der Klimaschutz proklamiert, aber keine Mittel für neue Wärmepumpen bereitstellt.

In Tübingen wurde etwa ein 60-Millionen-Euro-Projekt zur klimafreundlichen Energieversorgung gestoppt – weil das Geld fehlt. Und mit ihm drohen auch 200 Millionen an Vorinvestitionen nutzlos zu werden.

Dass Palmer, sonst bekannt für lösungsorientierte Politik, offen über Frust spricht, ist bezeichnend. Die Stimmung kippt nicht nur auf der Straße – sie kippt in den Rathäusern.

Keine Pointe – aber ein klarer Befund

Tübingen ist nicht am Ende. Aber das System, in dem die Stadt funktionieren soll, gerät an seine Grenzen. Wenn selbst wirtschaftlich erfolgreiche Städte ihre Infrastruktur nicht mehr erhalten können, wenn demokratisch legitimierte Verwaltungen vor jeder Ausgabe die Erlaubnis einer Zwischenbehörde einholen müssen – dann wird die Luft dünn.

Was das bedeutet? Nicht weniger als die Frage, ob der demokratische Staat vor Ort noch liefern kann. In Tübingen jedenfalls wird das gerade neu verhandelt. Und was dort schiefgeht, könnte bald zum Modell für viele andere Städte werden.

Finanzen / Wirtschaft
[InvestmentWeek] · 20.04.2025 · 14:00 Uhr
[7 Kommentare]
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