Weniger Türken empfinden Deutschland als ihre Heimat

17. August 2012, 19:03 Uhr · Quelle: dpa

Berlin (dpa) - Türken in Deutschland haben laut einer repräsentativen Umfrage weniger starke Heimatgefühle für die Bundesrepublik als noch vor drei Jahren. Von rund 1000 Befragten über 15 Jahren mit und ohne deutschen Pass empfanden nur 15 Prozent eher Deutschland als ihre Heimat.

2009 war es noch ein gutes Fünftel gewesen. Die Türkei sahen in dieser Zeit dagegen konstant rund 40 Prozent eher als ihre Heimat an. Der Rest hatte für beide Länder Heimatgefühle. Mehr Menschen als früher würden aber gern in den nächsten Jahren in die Türkei zurückkehren.

Auf den ersten Blick scheint die Umfrage sozialen Sprengstoff zu bergen: Fast die Hälfte der befragten Türken in Deutschland (46 Prozent) wünscht sich, dass in Deutschland irgendwann mehr Muslime als Christen wohnen. Für 72 Prozent ist der Islam die einzig wahre Religion. Mehr als die Hälfte der Interviewten stimmt auch der Aussage zu: «Ich bin am liebsten mit Türken zusammen». 16 Prozent antworten inzwischen, dass sie wegen ihrer türkischen Abstammung körperliche Angriffe erlebt haben. 2010 waren es nur die Hälfte. Und ein gutes Drittel glaubt, wegen einen türkischen Namens keinen Ausbildungsplatz bekommen zu haben.

Andererseits sagt eine deutliche Mehrheit der Befragten mit türkischen Wurzeln (78 Prozent), dass sie sich ohne Abstriche in die deutsche Gesellschaft integrieren und zu ihr dazugehören möchten. Mehr als 80 Prozent sehen die deutsche Sprache als Schlüssel dazu. Und stolze 95 Prozent der Befragten wollen ihre Kinder in deutschen Kindertagesstätten anmelden - nur eine Minderheit interessiert sich für Betreuungsgeld.

Dieses zerrissene Bild mag überraschen. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Debatte über die umstrittenen Äußerungen von Ex-Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin (SPD) und die Morde der Neonazi-Terrorzelle NSU das Deutschlandbild von Türken in den vergangenen Jahren getrübt haben. «Das ist eine Vermutung», schränkt Info-Geschäftsführer Holger Liljeberg allerdings ein. Der öffentliche Druck auf die deutsch-türkische Community sei gewachsen, das Vertrauen in den deutschen Staat gesunken, ergänzt er.

Berlins ehemalige Ausländerbeauftragte Barbara John sieht in den oft widersprüchlichen Antworten jedoch keine Radikalisierung oder wachsende Gegenkultur von Türken in Deutschland. Sie hält die Hinwendung zur Religion und die Besinnung auf traditionelle Werte eher für die Abgrenzungsversuche - wie eine eigene Art von «Pop». «Es sind meist junge Leute zwischen zwei Welten», sagt sie. Wenn die Identitätssuche in Deutschland nicht funktioniere, suchten sie sich eine andere. Mit praktiziertem Islam habe das wenig zu tun.

Trotzdem können einige Antworten erschrecken. Fast ein Fünftel der Interviewten empfindet Juden als «minderwertige Menschen». Rund die Hälfte hält Homosexualität für einen Krankheit. Und deutlich mehr Befragte als 2009 (63 Prozent statt 56 Prozent) finden, dass Frauen vor der Ehe keinen Sex haben sollten.

Liljeberg gibt zu bedenken, dass diese verstärkte Moralisierung für eine Politisierung ausgenutzt werden könne. So hätten in der Umfrage fast die Hälfte der Interviewten (45 Prozent) die Koran-Verteilung durch die radikalislamische Gruppe der Salafisten gutgeheißen - rund ein Fünftel würde sogar dafür spenden.

Die Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit der Antworten kann aber auch mit der Vielfalt der Gruppen von Türken in Deutschland zusammenhängen. Geschätzte zwei Millionen von ihnen sind über 15 Jahre alt. Längst nicht alle Befragten haben eine lange Vita in Deutschland. Nur ein Viertel ist hier geboren. Mehr als ein Drittel (38 Prozent) kam erst durch Heirat. «Es ist eine irrige Annahme, dass sich diese Community von Generation zu Generation weiterentwickelt», sagt Liljeberg. «Sie mischt sich immer wieder neu.»

Und warum wollen Türken aus Deutschland häufiger als früher in ihre Heimat zurückkehren? Neben starken Heimatgefühlen (63 Prozent) antworten 40 Prozent: «Weil das Wetter dort schöner ist». Aber nur 10 Prozent würden gehen, weil sie mit Deutschland und den Deutschen nicht zurechtkommen.

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Gesellschaft / Integration
17.08.2012 · 19:03 Uhr
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