Sensor im Mund: Würzburger Team arbeitet an Grippe-Schnelltest zum Kauen
Der Gedanke, eine Grippeinfektion einfach „erschmecken“ zu können, klingt zunächst futuristisch. Doch Forscher:innen der Universität Würzburg arbeiten genau an dieser Idee: einem Kaugummi- oder Lutsch-Schnelltest, der eine Influenza-Infektion über den Geschmackssinn erkennt. Das Konzept beruht auf einem chemischen Mechanismus, der beim Kontakt mit Grippeviren im Speichel eine Geschmacksreaktion auslöst. So könnte sich eine Infektion künftig ohne Labor, Arztbesuch oder technische Geräte feststellen lassen – allein durch das Kauen oder Lutschen eines speziell präparierten Produkts.

Wie der Geschmacks-Sensor funktioniert
Im Mittelpunkt des Konzepts steht die Kombination aus einem erkennenden Baustein und einem geschmacksaktiven Träger. Der Erkennungsbaustein bindet spezifisch an Strukturen der Influenza-Viren im Speichel; durch diese Interaktion wird der Geschmacksstoff von seiner Verankerung gelöst und frei gesetzt. Als Geschmacksträger kommt ein natürlicher Stoff wie Thymol in Frage, der bei Freisetzung deutlich wahrnehmbar ist. Entscheidend ist, dass die Freisetzung nur dann erfolgt, wenn tatsächlich virale Bestandteile vorhanden und aktiv sind. Damit entsteht ein einfaches Signal-Prinzip: Viruskontakt → Freisetzung des Geschmacks → Wahrnehmung durch die testende Person. Diese sensorische Auswertung ersetzt die bislang übliche technische Lesung eines Teststreifens und macht die Anwendung potenziell sehr niedrigschwellig.
Stand der Entwicklung und praktische Hürden
Das System ist noch experimentell und viele technische Fragen müssen beantwortet werden, bevor ein marktfähiges Produkt vorliegt. Dazu gehören die Stabilität des Sensormoleküls im Kaugummi, die zuverlässige Freisetzung des Geschmacksträgers im Speichelmilieu und die Vermeidung von Störeinflüssen durch Nahrungsreste oder Mundflora. Ebenfalls relevant ist die Empfindlichkeit gegenüber unterschiedlichen Virenlasten: Ein Test muss auch bei vergleichsweise geringen Viruskonzentrationen anschlagen, um frühzeitig erkennen zu können, ob eine Ansteckung vorliegt. Zudem stellt sich die Frage nach der wahrnehmbaren Intensität des freigesetzten Geschmacks — er muss eindeutig genug sein, um als Signal zu gelten, darf aber nicht so stark sein, dass er Nutzer:innen verunsichert oder irritiert. Auf regulatorischer Ebene sind Validierungsstudien, Sicherheitsprüfungen und Zulassungsverfahren notwendig; parallel dazu muss die Akzeptanz in der Bevölkerung geprüft werden, denn nur ein genutzter Test bringt gesundheitliche Vorteile.
Vergleich zu klassischen Schnelltests und mögliche Einsatzszenarien
Im Vergleich zu etablierten Rapid-Tests, die meist immunologische Prinzipien nutzen und in technischen Kassetten ablesbar sind, verfolgt der Kaugummi-Ansatz eine radikal andere Logik: die Nutzung der menschlichen Sinneswahrnehmung als Messinstrument. Klassische Schnelltests liefern oft klare, visuell ablesbare Signale, haben aber Einschränkungen in Sensitivität; molekulare Verfahren wie PCR sind deutlich sensibler, benötigen jedoch Laborausstattung. Der Geschmacks-Test könnte dort sinnvoll sein, wo schnelle, niedrigschwellige Selbsttests erforderlich sind, zum Beispiel in Kindertagesstätten, Schulen oder ländlichen Regionen mit geringer Testinfrastruktur. Dort wäre ein sofortiges, einfaches Signal ohne Technik von praktischem Nutzen. Sollte sich das Verfahren als zuverlässig erweisen, könnte es bestehende Tests ergänzen, jedoch kaum vollständig ersetzen, weil für medizinisch verbindliche Diagnosen weiterhin quantitative und hochspezifische Verfahren nötig bleiben.
Die Idee eines „erschmeckbaren“ Tests ist ein Beispiel dafür, wie kreative Interdisziplinarität in der Diagnostik neue Wege eröffnet: Chemie, Virologie und Materialwissenschaften müssen zusammengeführt werden, um aus einem originellen Konzept ein zuverlässiges Produkt zu machen. Ob und wann der Kaugummi-Test den Sprung in den Alltag schafft, hängt von technischen Nachweisen zur Zuverlässigkeit, von regulatorischen Prüfungen und von der Nutzerakzeptanz ab. Gelingt die Umsetzung, könnte ein einfacher Geschmackstest künftig dazu beitragen, Infektionsketten schneller zu erkennen und damit Ausbrüche früher einzudämmen.

