Rolls-Royce warnt vor Abwanderung von Schlüsselindustrien bei Verzögerung der SMR-Vergabe

Rolls-Royce-Chef Tufan Erginbilgiç hat die britische Regierung eindringlich davor gewarnt, die Entscheidung über den Bau von Small Modular Reactors (SMRs) weiter hinauszuzögern. Sollte die Auswahl der Unternehmen, die mit dem Bau der Reaktoren beauftragt werden, nicht bis spätestens Juni erfolgen, drohe eine Verlagerung der Zulieferketten ins Ausland – mit langfristigen Folgen für Großbritanniens industrielle Wettbewerbsfähigkeit.
Die Sorge von Erginbilgiç: Ein Szenario wie beim Ausbau der Offshore-Windkraft, als Großbritannien es versäumte, rechtzeitig eine heimische Lieferkette für Turbinenkomponenten aufzubauen. „Wenn sich solche Supply Chains einmal anderswo verfestigt haben, ist es extrem schwer, sie wieder zurückzuholen“, sagte der Vorstandschef im Interview.
Rolls-Royce gehört zu den vier Unternehmen, die die britische Regierung 2023 für die finale Auswahlrunde zur Entwicklung von SMRs nominiert hatte. Die staatliche Great British Nuclear (GBN) soll bis spätestens Frühjahr zwei Gewinner küren, die dann mit dem Bau starten. Die Entscheidung verzögert sich jedoch, und Erginbilgiç mahnt: „Wir brauchen diese Auswahl im Juni, nicht später.“
SMRs gelten als Hoffnungsträger der künftigen Energieversorgung. Im Unterschied zu klassischen Atomkraftwerken sind sie kompakter, günstiger im Bau und modular erweiterbar. Damit bieten sie nicht nur Versorgungssicherheit bei steigendem Strombedarf, sondern auch eine CO₂-freie Alternative zur fossilen Energie. Die Technologie gewinnt angesichts der Stromanforderungen durch KI-Rechenzentren zusätzlich an strategischer Bedeutung.
Rolls-Royce positioniert sich mit einem vergleichsweise großen SMR-Modell von 470 Megawatt Kapazität. Zwar liegt der typische SMR-Wert eher bei 300 Megawatt, doch das britische Unternehmen sieht in der Skalierung Effizienzpotenzial. In Tschechien wurde Rolls-Royce bereits als bevorzugter Anbieter ausgewählt. Dort soll ab Mitte der 2030er-Jahre ein erster Reaktor nahe des bestehenden Temelín-Kraftwerks entstehen – im Rahmen einer Partnerschaft mit dem Versorger ČEZ.
Im Falle eines Zuschlags in Großbritannien wolle Rolls-Royce beide Projekte parallel realisieren, so Erginbilgiç. Rund 70 Prozent der Lieferkette könnten im Inland verankert werden – ein industriepolitischer Hebel, den sich das Land nicht entgehen lassen sollte. Komponenten, die globalen Engpässen unterliegen, seien die Ausnahme.
Trotz früherer Spekulationen über ein mögliches Aus für das SMR-Programm nach dem Führungswechsel bei Rolls-Royce Anfang 2023 hat Erginbilgiç klar gemacht, dass er hinter der Technologie und der strategischen Ausrichtung steht.