Resident Evil Requiem: Warum Capcom den Multiplayer verwarf und zum Survival-Horror zurückkehrte
Als Capcom mit der Arbeit an Resident Evil Requiem begann, stand alles auf Multiplayer, Offenheit und Online-Dynamik. Eine weitläufige Welt, gemeinsame Streifzüge, kooperative Monsterjagd – die Vision klang nach modernem Blockbuster, nicht nach klaustrophobischem Survival-Horror. Produzent Masato Kumazawa bestätigt, dass Requiem ursprünglich als Open-World-Online-Multiplayer geplant war, ein radikaler Schritt weg vom klassischen Einzelspielerpfad der Reihe.
Während der sechsjährigen Entwicklung schob sich jedoch eine unbequeme Erkenntnis immer stärker in den Vordergrund: Das Projekt machte zwar Laune, erzeugte aber kaum echten Schrecken. Die Atmosphäre erinnerte eher an einen actionreichen Ausflug mit Freunden als an das beklemmende Gefühl, nachts mit pochendem Herzen durch enge Flure zu schleichen. Genau an diesem Punkt stellte sich das Team eine entscheidende Frage: Würden eingefleischte Fans ein solches Experiment wirklich als „Resident Evil“ akzeptieren?
Der Wendepunkt: Spaß reicht nicht, wenn die Angst fehlt
Capcom durchleuchtete den Prototypen gnadenlos. Ja, die Multiplayer-Idee funktionierte spielmechanisch, doch die emotionale Zielmarke wurde verfehlt. Kumazawa formulierte es sinngemäß so: Ein Titel kann noch so unterhaltsam sein – wenn der Nervenkitzel fehlt, verliert die Marke ihre Identität.
Die Seriengeschichte liefert dafür reichlich Mahnmaterial. Teile, die stärker auf Schießereien und Explosionen setzten, wurden zwar verkauft, hinterließen aber bei vielen Fans einen schalen Nachgeschmack. Der Vorwurf, Capcom habe die Wurzeln des Survival-Horror zugunsten krasser Action verwässert, hielt sich hartnäckig. Aus dieser Lektion zog das Team die Konsequenz, Requiem rigoros zurück auf eine fokussierte Singleplayer-Erfahrung zu stutzen.
Überlebende Fragmente: Was vom Multiplayer-Prototyp übrigblieb
Trotz der Kurskorrektur hat Capcom den ursprünglichen Entwurf nicht einfach entsorgt. Laut Kumazawa flossen bestimmte Ideen aus dem Online-Prototyp bewusst in den finalen Aufbau ein, gerade weil sie spielerisch reizvoll funktionierten. Konkrete Details hält er zwar zurück, doch zwischen den Zeilen lassen sich einige Szenarien erahnen.
Denkbar sind dynamische Begegnungen, zufallsbasierte Ereignisse oder systemische Mechaniken, die früher für kooperative Situationen gedacht waren und jetzt die Einsamkeit der Protagonistin subtil unterlaufen. Vielleicht verändern sich Gegnerpfade unvorhersehbar, vielleicht verschieben sich Hotspots im Level so, als würdest Du mit unsichtbaren Mitspielern die Bühne teilen. Solche Relikte der Mehrspieler-DNA könnten erklären, warum Requiem trotz Singleplayer-Fokus lebendig, unberechenbar und in jeder Session leicht anders wirkt.
Grace Ashcroft, Stalker-Horror und die Rückbesinnung auf Angst
Mit Grace Ashcroft setzt Capcom auf eine Figur, die inmitten eines perfiden Katz-und-Maus-Spiels steht. Ein neuer Stalker-Feind, der sie beharrlich verfolgt, knüpft klar an die erbarmungslosen Verfolger aus Resident Evil 2 an – jenem Vergleich, den Kumazawa selbst zieht. Statt Dauerfeuer bekommst Du dieses nagende Gefühl, dass jeder Schritt beobachtet sein könnte.
Die Entwickler haben Fans über Jahre intensiv zugehört und Kritik an früheren Eskapaden in Richtung Daueraction verinnerlicht. Requiem soll wieder dieses typische „Ich will weiterspielen, aber ich traue mich kaum“-Gefühl auslösen. Horror ist nicht Nebenprodukt, sondern Kern. Lichtkegel, die im dunklen Korridor hängenbleiben, entfernte Schritte hinter dünnen Wänden, flackernde Monitore, auf die Grace starrt – all das dient dazu, Deine Fantasie zu zermürben, bevor überhaupt der erste Schuss fällt.
Action als gezielte Falle – nicht als Dauerzustand
Trotz klarer Horroragenda verbannt Capcom Action nicht vollständig. Kumazawa spricht von kurzen, pointierten Momenten, in denen Tempo und Feuerkraft bewusst angezogen werden. Diese Passagen sollen auflockern, täuschen und Dich in eine trügerische Komfortzone wiegen. Wenn Du Dich kurz sicher fühlst, trifft der nächste Schock doppelt hart.
Die Entwickler nutzen Action damit als Kontrastmittel, nicht als Dauerbeschallung. Gerade dieser Rhythmus – Phase der Entspannung, dann brutaler Spannungsanstieg – macht moderne Horror-Spiele so wirkungsvoll. In Requiem könnte besonders die Figur Leon Kennedy solche Sequenzen tragen: ikonischer Veteran, vertrautes Gesicht, prädestiniert für knackige Einsätze, die die düstere Reise von Grace punktuell durchbrechen, ohne den generellen Horroranspruch zu verwässern.
Warum Capcoms Entscheidung für Fans mehr bedeutet als nur Spielstruktur
Hinter der Abkehr vom Open-World-Multiplayer steckt letztlich ein klares Bekenntnis zur eigenen Marke. Capcom signalisiert, dass Resident Evil Requiem nicht irgendein trendiges Service-Spiel werden soll, sondern ein bewusst komponiertes Survival-Horror-Erlebnis, das Fans ernst nimmt.
Diese Entscheidung trägt auch eine Botschaft an die Branche: Persistente Onlinewelten und Koop-Features mögen verlockend sein, doch sie ersetzen keine starke, dichte Atmosphäre. Requiem versucht, beides vorsichtig zu verbinden – die Dynamik ursprünglicher Prototyp-Ideen und die kompromisslose Fokussierung auf Angst, Einsamkeit und Überleben. Wenn Capcom diesen Balanceakt meistert, könnte Requiem als Beispiel gelten, wie sich moderne Designexperimente mit dem Erbe einer traditionsreichen Horrorserie versöhnen lassen.


