Die deutsche Glücksspielregulierung droht an sich selbst zu scheitern

Im Juli 2021 trat der neue deutsche Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Zu den Zielen des Werks gehörte die Eindämmung des illegalen Marktes: Kunden sollten bei lizenzierten Anbietern spielen, was Spielerschutz und Steuereinnahmen zugute kommen sollte.
Glücksspielstaatsvertrag mit ernüchternder Bilanz
Die Bilanz knapp vier Jahre später ist ernüchternd. Daten der auf illegale Glücksspielaktivitäten spezialisierten Plattform Yield Sec sprechen für einen florierenden Schwarzmarkt. Im Jahr 2023 gab es demnach 1.620 nicht lizenzierte Betreiber, die den deutschen Markt adressierten. 13,5 Millionen Deutsche interagierten im Laufe des Jahres mit diesen Betreibern.
Noch gravierender: Der Schwarzmarkt wächst, anstatt zu schrumpfen. 2024 waren 1.926 illegale Anbieter aktiv auf Deutschland ausgerichtet und kommunizierten mit 15,8 Millionen Menschen, also rund 20 % der Bevölkerung. Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr ist auch auf Ereignisse wie die Fußball-EM zurückzuführen, zeigt aber vor allem, dass die durch den Gesetzgeber geplante Kanalisierung nicht greift.
Der Schwarzmarkt macht mehr als 50 % aus
Den Daten von Yield Sec zufolge wurden 2024 rund 54 % des Bruttoumsatzes auf dem Schwarzmarkt generiert, was etwa 4 Mrd. EUR Umsatz entspricht. Yield Sec-CEO Ismail Vali glaubt, dass der Anteil sogar noch höher liegen könnte und verweist darauf, dass Kunden in Deutschland etwa fünfmal häufiger auf nicht lizenzierte Anbieter stoßen als auf Anbieter mit Lizenz. Eine Vermutung, die durch Auswertungen von Branchenplattformen wie Casinoservice.org gestützt wird.
Die Branche schlägt Alarm und sieht sich vom Gesetzgeber in einen aussichtslosen Kampf gegen den illegalen Markt geschickt. Die Regulierungsauflagen sind so hoch, dass bislang kein konkurrenzfähiges Angebot entstehen konnte.
So sind zwar einige dutzend Anbieter bei der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) lizenziert. Viele sind jedoch nur mit einem schmalen Angebot von wenigen hunderten Spielautomaten an den Markt gegangen, andere stehen noch vor dem Launch.
Weniger Angebot, mehr Einschränkungen
Die Auflagen sind vielfältig und kompliziert. So ist die GGL für die Lizenzierung von Betreibern des virtuellen Automatenspiels zuständig. Doch neue Automaten kommen aufgrund des langwierigen Zulassungsprozesses viel zu langsam auf den Markt. Den Daten von Yield Sec zufolge ist dadurch eine Situation entstanden, in der illegale Anbieter 9,2-mal mehr Produkte anbieten können als diejenigen auf dem legalen Markt.
Noch weitaus schwerer wiegen aus Sicht der Branche die Vorgaben der Regulierungsbehörden, die auf direkte Limitationen der Spieler abzielen. So gilt etwa ein 1 EUR Limit pro Spielrunde – ein im internationalen Vergleich sehr niedriger Wert, der viele Spieler in den Schwarzmarkt abwandern lässt.
Auf Kritik stoßen auch die Einzahlungslimits: 1.000 EUR monatlich sollen - anbieterübergreifend – genügen, meint die GGL. Zwar lassen sich die Limits auf 10.000 EUR und sogar darüber hinaus erhöhen: Dies ist jedoch nur mit einer SCHUFA-Auskunft möglich, die bei Verbrauchern üblicherweise eine Abwehrreaktion erzeugt.
Es gibt weitere Regelungen, die das Geschäft der legalen Betreiber erschweren und es den Akteuren des Schwarzmarktes leicht machen, sich als Vorkämpfer für Komfort und Vielfalt darzustellen. Zu diesen Regelungen gehört etwa die 5-Sekunden-Regel: 5 Sekunden muss eine Spielrunde im Durchschnitt dauern, wodurch der Spielablauf verzögert wird. Das bei Spielern beliebte Autoplay ist verboten, alle 60 Minuten wird das Spiel für fünf Minuten unterbrochen.
Schon die Kontoeröffnung ist bei legalen Anbietern komplizierter, weil die KYC-Anforderungen sehr früh erfüllt werden müssen. Maximal 72 Stunden ab der ersten Dateneingabe stehen zur Verfügung, um die Identität nachzuweisen – und das auch nur, solange maximal 100 EUR eingezahlt werden. Wer mehr einzahlt, muss die Verifizierung sofort abschließen.
In einigen Bereichen sind die deutschen Lizenznehmer ohnehin abgehängt. So ist die GGL zwar für den Automatenbereich zuständig. Die Regulierung und Lizenzvergabe für sogenannte Online-Casinospiele – etwa Bankhalterspiele wie Roulette und Blackjack – obliegt jedoch den Bundesländern. Bislang haben nur einzelne Länder überhaupt Entscheidungen diesbezüglich getroffen – und längst nicht immer private Lizenznehmer zugelassen.
Belastend wirkt auch die Steuer in Höhe von 5,3 %. Diese wird in Deutschland nicht – wie international üblich – auf Bruttospielerträge von Betreibern, sondern auf Einsätze berechnet. Auch dies trägt nach Angaben der Branche zum im Vergleich zum Schwarzmarkt verringerten Angebot bei.
SPD-geführte Länder blockieren Liberalisierung
Wird sich unter der neuen Bundesregierung etwas ändern? Die Branche hofft, weil sie hoffen muss. Doch die Probleme liegen oft im Föderalismus verwurzelt. Viele der im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehenen Maßnahmen sind das Resultat von Kompromissen zwischen den Ländern.
„Gemeinsam mit den Ländern werden wir den Kampf gegen illegales Glücksspiel verbessern“, heißt es auf Seite 92 des Koalitionsvertrags. Doch am Ende sind liegen viele Entscheidungen in den Händen der Länder. Tendenziell wollen die von CDU und CSU geführten Bundesländer den Markt öffnen, stoßen dabei aber auf Widerstand aus anderen Bundesländern. In Bremen etwa forderte Innenminister Ulrich Mäurer wiederholt noch schärfere Beschränkungen, darunter ein vollständiges Verbot von Sponsoring und Werbung.
Dass die Koalition das illegale Glücksspiel in Deutschland überhaupt erwähnt, wertet der Deutsche Online Casino Verband (DOCV) bereits als Fortschritt. „Der DOCV begrüßt ausdrücklich, dass die voraussichtlich neue Bundesregierung den Kampf gegen den illegalen Glücksspielmarkt als festes Ziel auf ihre Agenda gesetzt hat“, so Präsident Dirk Quermann.
„Wir müssen Spieler vom ungeschützten Schwarzmarkt zurück in den legalen Markt lenken, denn nur dort kann der Spielerschutz gewährleistet werden“, so Quermann. „Das kann nur funktionieren, wenn wir das legale Glücksspiel stärken.“ Er fordert eine Umstrukturierung der Einsatzsteuer hin zu einer Steuer auf Bruttospielerträge, die Abschaffung des Spielrundenlimits und der 5-Sekunden-Regel sowie wirksame IP-Sperren gegen illegale Betreiber.
Branche hofft auf Geldbedarf der Regierung
Die Branche hofft letztlich auf ein wachsendes Interesse der Regierung am Glücksspielmarkt, da eine neue Regulierung auch mehr Geld in die klammen öffentlichen Kassen spülen könnte. Viele der im Koalitionsvertrag enthaltenen Versprechen stehen unter dem Vorbehalt der Finanzierung – Geld wird angesichts der schwachen Konjunktur absehbar benötigt.
Tipico iGaming-Director Christian Heins sieht darin eine Chance: „Natürlich könnten sie die Steuern weiter erhöhen, aber Deutschland ist bereits ein Hochsteuerland. Illegales Glücksspiel ist zweifellos eine ungenutzte Ressource.“ Bis zu 1 Mrd. EUR jährlich könnten dem Fiskus so laut Heins zufließen.
Ob Bewegung in die deutsche Glücksspielregulierung kommt, bleibt allerdings auch angesichts der Vielzahl großer Herausforderungen unsicher. Glücksspiel dürfte im aktuellen Gesamtkontext eines der kleinsten Probleme der Regierung sein, die im Raum stehende Milliarde allein wird keines der sich auftuenden Finanzlöcher stopfen.

