Andreas Voßkuhle - juristischer Gegenspieler der Politik
Karlsruhe (dpa) - Selten zuvor stand ein Präsident des Bundesverfassungsgerichts so sehr im Fokus wie am Mittwoch Andreas Voßkuhle.
Dabei hat es eine gewisse Ironie, dass der Zweite Senat des Gerichts unter dem Vorsitz Voßkuhles darüber entschied, dass Bundespräsident Joachim Gauck die Gesetze zum Euro-Rettungsschirm unterzeichnen darf. Denn wäre es nach Angela Merkel gegangen, säße Voßkuhle im Schloss Bellevue - und andere müssten sich Gedanken darüber machen, was er wann unterschreiben darf.
Nach dem Rücktritt von Christian Wulff im Februar dieses Jahres hatte die Kanzlerin bei Voßkuhle angefragt, ob er das Amt des Bundespräsidenten übernehmen wolle. Nach kurzer Bedenkzeit entschied er sich dagegen. Es ist zu vermuten, dass Voßkuhle mit der derzeitigen Rollenverteilung nicht unglücklich ist: Der 48-Jährige ist ein leidenschaftlicher Jurist, der in den mündlichen Verhandlungen sichtlich Freude am Wettstreit der Argumente hat.
Voßkuhle, der mit einer Richterin verheiratet ist, wurde 1963 in Detmold (Westfalen) geboren. Er studierte in Bayreuth und München. 1999 wurde er Professor in Freiburg. 2007 wurde er zum Rektor der Universität gewählt, doch nachdem das Amt angetreten hatte, kam 2008 der Ruf an das höchste deutsche Gericht. Die SPD hatte den parteilosen Juristen vorgeschlagen. Seit März 2010 ist Voßkuhle Präsident des Gerichts. Auch für den repräsentativen Teil dieser Aufgabe hat er durchaus Talent: Das Amt passe zu ihm «wie ein Maßanzug», meint ein langjähriger Kenner der Karlsruher Szene.
Unter Voßkuhles Leitung traf der Zweite Senat einige der politisch brisantesten Entscheidungen der vergangenen Jahre - etwa zum EU-Vertrag von Lissabon, zum Bundestags-Wahlrecht, zur Sicherungsverwahrung und den Finanzhilfen für Griechenland. Das Karlsruher Gericht sei «einer der ganz wenigen Orte, an denen man abgeschirmt von äußeren Einflüssen Entscheidungen so intensiv durchdenken kann, wie man es für erforderlich hält. Es hat mitunter fast etwas Klösterliches», schwärmte Voßkuhle in einem «Zeit»-Interview.
Weltfremdheit sollte man dem Jura-Professor aber nicht unterstellen: Dass Voßkuhle auch das politische Bandenspiel beherrscht, zeigte sich, als das Gericht Bundespräsident Gauck mit sanftem öffentlichen Druck dazu brachte, die Gesetze zum Euro-Rettungsschirm erst einmal nicht zu unterschreiben.
Bis heute wird in Berlin über die Gründe spekuliert, warum Merkel auf Präsidentensuche bei Voßkuhle anfragte. Eine Version lautet: Sie habe vorhergesehen, dass er ihr in Sachen Europa noch Schwierigkeiten machen könnte; deshalb habe sie ihn am liebsten wegloben wollen. Egal, ob diese Geschichte stimmt - schon dass sie plausibel klingt, dürfte für einen Richter ein Kompliment sein.