Wendepunkt für Europa: Beschleunigung der Kapitalmarktintegration steht bevor
Die kontinuierliche Anstrengung, eine europäische Kapitalmarktunion zu formen, könnte nun schließlich Früchte tragen. Laut eines vorläufigen Dokuments der bevorstehenden EU-Gipfelerklärung wird angestrebt, die Entwicklung von grenzüberschreitenden Anlageprodukten und Sparmodellen zu intensivieren. Die Absichtserklärung, die auf dem Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs zur Diskussion stehen wird, reflektiert den Wunsch, das hohe Niveau inaktiver Sparsummen in der EU produktiver zu nutzen, insbesondere für zukunftsorientierte Projekte.
Die Gründe für einen derart gestärkten Fokus auf die Kapitalmarktunion sind vor allem finanzieller Natur. Derzeit werden schätzungsweise 300 Milliarden Euro jährlich von europäischen Sparern außerhalb des Kontinents, vor allem in den Vereinigten Staaten, investiert. Dies wird in einem Sonderbericht des früheren italienischen Premierministers Enrico Letta hervorgehoben, der zur Debatte des Gipfels vorliegt. Die EU-Mitgliedstaaten sind bestrebt, ein heimisches Volumen privater Investitionen zu schaffen, um die Mittelbereitstellung für grüne und digital orientierte Initiativen zu verstärken.
Letta weist in seinem Bericht auf die Dringlichkeit hin, finanzielle Ressourcen für den beabsichtigten Strukturwandel Europas zu aktivieren. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Mobilisierung von Privatvermögen und Firmenkapital. Von den 33 Billionen Euro, die aktuell in der EU als private Ersparnisse schlummern – größtenteils unberührt in Form von Bargeld und Bankguthaben –, könnten bedeutende Summen für strategische Investitionen abgeschöpft werden.
Die Initiative sieht des Weiteren vor, das Finanzwissen und die Investitionsfähigkeit der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Ein besser informiertes Publikum ist investitionsfreudiger – so zumindest die Erwartung, die auch durch eine Umfrage der EU-Kommission bestätigt wird, bei der nur die Hälfte der befragten EU-Bürger durchschnittliches Finanzwissen aufzeichnete. Darüber hinaus wurde ein signifikantes Wissensgefälle zwischen den Geschlechtern bemerkt.
Trotz der ambitionierten Pläne bleiben gewisse Meinungsverschiedenheiten unter den EU-Staaten ungelöst, wie jene über die Harmonisierung von Insolvenzregelungen und die Einführung verstärkter zentraler Aufsichtsmechanismen für Kapitalmärkte. Während Frankreich eine stärkere Rolle der ESMA anstrebt – unterstützt durch Vorschläge Lettas –, hat sich Deutschland bisher zurückgehalten, wobei Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich eine gewisse Kompromissbereitschaft signalisierte. Finanzminister Christian Lindner zeigt sich hierbei allerdings als Skeptiker. (eulerpool-AFX)