Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten in Istanbul

Istanbul (dpa) - Im Korruptionsskandal in der Türkei ist die Polizei am Freitagabend mit großer Härte gegen regierungskritische Demonstranten im Zentrum von Istanbul vorgegangen. Die Sicherheitskräfte setzten schon vor Beginn der Demonstration Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse ein.

Die nach Schätzungen von Augenzeugen mindestens 1000 Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung. Sie skandierten außerdem wie bereits bei den Protesten im Sommer: «Überall ist Taksim, überall ist Widerstand».

Die Regierungsgegner hatten wegen des Korruptionsskandals zu einer Demonstration auf dem zentralen Taksim-Platz aufgerufen. Die Polizei riegelte den Platz weitgehend ab. Auf der zum Taksim-Platz führenden Einkaufsmeile Istiklal Caddesi ging die Polizei dann gegen Gruppen von Demonstranten vor und verfolgte sie in Seitengassen. Vereinzelte Protestierer bewarfen die Wasserwerfer mit Steinen. Auch aus Ankara wurden Proteste gemeldet. Vom Gezi-Park am Taksim-Platz waren im Sommer die landesweiten Proteste gegen die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ausgegangen.

Das oberste Verwaltungsgericht kippte am Freitag nach einem Bericht der Zeitung «Hürriyet Daily News» einen Erlass der Regierung, mit dem Ermittler dazu gezwungen werden sollten, Vorgesetzte über ihre Untersuchungen zu informieren. Die Regierung war von den Korruptionsermittlungen überrascht worden.

Der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zuständige EU-Kommissar Stefan Füle begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Die von der Regierung beschlossenen Vorschriften für die Polizeiarbeit hätten «die Unabhängigkeit der Justiz und deren Handlungsfähigkeit untergraben», hieß es in einer Erklärung Füles. Er erinnerte die Türkei an ihre Pflichten als Beitrittskandidat und forderte die Regierung auf, «alle nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Vorwürfe von Rechtsverletzungen ohne Benachteiligung oder Bevorzugung transparent und unparteiisch aufgeklärt werden».

Der Korruptionsskandal belastet das zuletzt ohnehin angeschlagene Vertrauen der Finanzmärkte in das aufstrebende Schwellenland. Besonders deutlich zeigte sich dies am Wert der türkischen Lira, die im Handel mit dem US-Dollar auf ein Rekordtief rutschte. Am Freitag mussten für einen Dollar zeitweise 2,1761 Lira gezahlt werden, so viel wie noch nie. Neben der Währung gerieten aber auch türkische Staatsanleihen und der Aktienmarkt des Landes massiv unter Verkaufsdruck, nachdem sich ausländische Investoren teilweise aus dem Markt verabschiedet hatten.

Der Korruptionsskandal erschüttert die Türkei seit zehn Tagen und hat zum Rücktritt von drei Ministern geführt. Einer davon hatte auch Erdogan zum Amtsverzicht aufgefordert. Erdogan hatte am Mittwoch zehn seiner 26 Kabinettsposten neu besetzt. Bei den Ermittlungen geht es unter anderem darum, ob gegen Schmiergeld illegale Baugenehmigungen erteilt und Handelssanktionen gegen den Iran unterlaufen wurden. Erdogan hat die Ermittlungen als «dreckige Operation» gegen seine Regierung mit Hintermännern im In- und Ausland bezeichnet.

Abgeordnete kehren der Regierungspartei AKP unterdessen den Rücken. Drei Parlamentarier erklärten am Freitag ihren Austritt aus der AKP, wie türkische Medien berichteten. Zuvor hatte bereits Ex-Innenminister Naim Sahin seinen Austritt aus der AKP erklärt. Kurz vor Bekanntwerden des Korruptionsskandals hatte der einstige Fußball-Star Hakan Sükür die Partei verlassen. Die absolute Mehrheit der AKP im Parlament gefährden die Austritte allerdings nicht.

Für Schlagzeilen sorgte in der Türkei am Freitag die Ablösung des Istanbuler Staatsanwalts Muammer Akkas von seinen Korruptionsermittlungen. Er war am Donnerstag von dem Fall abgezogen worden, bei dem regierungskritischen Medienberichten zufolge auch im Umfeld von Ministerpräsident Erdogan ermittelt wurde. Akkas hatte öffentlich beklagt, auf ihn sei Druck ausgeübt worden. Die Polizei habe seine Anordnung ignoriert, Verdächtige festzunehmen. Die Regierung hat zahlreiche ranghohe Polizisten austauschen lassen, darunter den Polizeichef Istanbuls. Ihr wird vorgeworfen, die Korruptionsermittlungen behindern zu wollen.

Regierungskritische Proteste haben in der Türkei in den vergangenen Tagen wieder zugenommen. Sie haben aber längst nicht die Ausmaße vom Sommer erreicht.

Justiz / Innenpolitik / Türkei
27.12.2013 · 20:20 Uhr
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