Vom Labor zum Milliardenkonzern: Wie OpenAI seinen Non-Profit-Kurs aufgab
OpenAI erwartet für das Jahr 2025 einen Umsatz von rund 12,7 Milliarden US-Dollar. Dieser Betrag steht sinnbildlich für die radikale Kehrtwende eines Unternehmens, das einst mit gemeinnützigem Anspruch angetreten war, künstliche Intelligenz zum Wohle aller zu entwickeln – frei zugänglich, sicher und ohne ökonomischen Druck.
Begonnen hatte der Wandel spätestens im Juni 2020 mit der Einführung des ersten kommerziellen Produkts: einer kostenpflichtigen API für GPT-3. Unternehmen konnten damit erstmals auf OpenAIs KI zugreifen, um Inhalte zu generieren – ein Meilenstein für den Technologietransfer, aber auch ein Bruch mit dem ursprünglichen Selbstverständnis. Interne Bedenken wurden ignoriert, Sicherheitsteams waren noch nicht installiert, und klare Leitplanken für den Einsatz der Technologie fehlten. Die Einführung erfolgte zudem unter dem Eindruck unbegründeter Gerüchte, Google plane einen ähnlichen Schritt.
Der kommerzielle Erfolg stellte sich schneller ein als erwartet – spätestens mit dem Start von ChatGPT im November 2022. Innerhalb von nur fünf Tagen registrierte sich über eine Million Nutzer, nach zwei Monaten waren es 100 Millionen. Diese Dynamik zwang OpenAI, die Kontrolle abzugeben und den Marktkräften zu folgen. Die Nachfrage überstieg die internen Kapazitäten, das Produkt entfaltete ein Eigenleben. Aus einem Forschungsprojekt war ein Massenphänomen geworden – und der Startschuss für das globale KI-Wettrennen gefallen.
Die Gründe für diesen strategischen Schwenk analysieren zwei neue Bücher: Empire of AI von Karen Hao sowie The Optimist von Keach Hagey. Beide Autoren führen vier zentrale Ursachen an. An erster Stelle steht die massive Kostenstruktur: Rechenzentren, Halbleiter, Lizenzvereinbarungen, Fachkräfte – der Aufbau leistungsfähiger KI ist teuer. Um Investoren wie Microsoft ins Boot zu holen, war eine kommerzielle Tochtergesellschaft erforderlich.
Zweitens prägte CEO Sam Altman maßgeblich den Kurswechsel. Als früherer Chef des Startup-Inkubators Y Combinator verfügte Altman über ein exzellentes Netzwerk, strategisches Geschick – und den festen Willen, in großem Stil Einfluss zu nehmen. Die Non-Profit-Struktur von OpenAI passte aus Sicht enger Weggefährten nie zu ihm. Investorenlegende Michael Moritz bringt es im Buch so auf den Punkt: „Er ist ein Mann des Marktes.“
Drittens war der Führungsanspruch entscheidend. Laut Hao ließ sich OpenAI bei der Einführung seiner Produkte mehrfach von der Angst treiben, Konkurrenten wie Google oder Anthropic könnten schneller sein – selbst dann, wenn entsprechende Hinweise falsch waren. Die Devise lautete: Wer zuerst kommt, prägt den Standard. Diese Denkweise bestimmte zunehmend die Unternehmenskultur und verkürzte Entscheidungszyklen auf ein Minimum.
Zuletzt spielte auch der geopolitische Druck eine Rolle. Altman verweist heute regelmäßig auf den technologischen Aufholprozess Chinas. In einer Anhörung vor dem US-Kongress warnte er kürzlich, der Abstand zu chinesischen KI-Firmen wie DeepSeek schrumpfe rapide. Regulierung dürfe amerikanischen Unternehmen daher nicht den Vorsprung kosten.
Dass OpenAI mit seinem Kurs nicht nur Wachstum, sondern auch Widerstand provoziert, zeigte sich spätestens im Herbst 2023: Der Vorstand des gemeinnützigen Trägers versuchte, Altman zu entmachten – vergeblich. Seither hat sich das Unternehmen weiter geöffnet, neue Produkte veröffentlicht und das Tempo erhöht. Parallel kehrten mehrere führende Sicherheitsexperten dem Unternehmen den Rücken. Der Spagat zwischen Innovation und Verantwortung bleibt ungelöst – doch Altman macht keinen Hehl daraus, dass er ihn in Richtung Markt entscheidet.