Voith streicht 2500 Stellen – neuer CEO startet tiefgreifenden Konzernumbau
Der neue Kurs eines ungeduldigen Sanierers
Dirk Hoke, erst seit April an der Spitze des Maschinenbauers Voith, hat keine Schonfrist beansprucht. Nach sieben Monaten interner Analyse steht fest: Jeder zehnte Arbeitsplatz soll verschwinden. Rund 2500 Stellen weltweit, vor allem in Deutschland, stehen auf der Streichliste. Für einen Konzern, der sich gerne als Stabilitätsanker der Industrie versteht, markiert dieser Schritt einen tiefen Einschnitt.
Hoke begründet den Abbau mit einer Mischung aus globalen Marktunsicherheiten und strukturellen Problemen im Inland. Energiepreise, Bürokratie und Regulierungsdichte machten dem Unternehmen zu schaffen: „Wir können nur dann auf Dauer wachsen, wenn wir unsere Zukunft selbst gestalten“, sagt er – ein Satz, der im Familienunternehmen traditionell nicht leicht ausgesprochen wird.
Hohe Kosten, schwache Nachfrage – und ein angeschlagener Konzern
Voith kämpft wie viele Maschinenbauer mit schwindender Nachfrage und einer Kostenstruktur, die am Limit steht. Im abgelaufenen Geschäftsjahr sank der Umsatz auf 5,2 Milliarden Euro, der Konzern rutschte in die Verlustzone. Zwar zeigen die Bereiche Papiermaschinen, Wasserkraft-Komponenten und Antriebssysteme leichte Zuwächse – doch angesichts steigender Kosten reicht das nicht aus, um die nötigen Investitionen zu finanzieren.
Der neue Chef spricht offen aus, was viele in der Belegschaft nicht hören wollen: Die Organisation sei über die Jahre „verkrustet“, zu langsam, zu schwerfällig geworden. Hoke kündigt an, ein bis drei Führungsebenen zu streichen – eine radikale Schrumpfkur, die auch das Management trifft.
Familiengesellschafter im Rücken
Während Belegschaftsvertreter von mangelnder Transparenz sprechen, stehen die Eigentümer hinter dem Kurs. Der Aufsichtsratsvorsitzende Siegfried Russwurm, ehemaliger Siemens-Manager und BDI-Präsident, sieht in Hoke den Mann, der Voith in eine neue Ära führen soll. Seine Erwartung: mehr Effizienz, mehr Tempo, mehr Ergebnisorientierung.
Hokes eigene Karriere – Airbus, Siemens, Volocopter – lässt erkennen, dass er Transformationen gewohnt ist. Auch wenn sein Engagement bei Volocopter wegen Kapitalmangels unrühmlich endete, beeindruckte die Gesellschafter offenbar seine Konsequenz.
Umbau ohne Kündigungen?
Offiziell will Voith betriebsbedingte Kündigungen vermeiden. Doch ob das gelingt, ist offen. Betroffen sind vor allem Verwaltungsbereiche, deren Funktionen künftig deutlich schlanker werden sollen. Details nennt der Konzern nicht – wohl auch, um die kommenden Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern nicht zu belasten.
Ein Blick in die Werke zeigt: Voith steckt mitten in einem Kulturwandel. Hoke fordert von den Mitarbeitern ein neues Denken – weniger Sicherheitsorientierung, mehr Experimentieren, aber auch schnelles Aufgeben, wenn eine Idee nicht trägt. „Wir wollen nicht wie früher Millionen versenken in Projekten, die uns nicht weiterbringen“, sagt er.
Neue Felder, alte Wurzeln
350 potenzielle Wachstumsfelder hat Voith identifiziert – ein ambitionierter Katalog, aus dem Hoke zunächst drei Themen herausgreift: Wärmerückgewinnung, Wasseraufbereitung und Plastikrecycling. Alles Bereiche, die auf industriellen Kernkompetenzen des Konzerns aufbauen, ohne ihn zu überfordern. Große Übernahmen schließt Hoke bewusst aus. Lieber testet er kleine, risikoarme Projekte – ein bemerkenswerter Strategiewechsel für ein Unternehmen, das historisch oft in große Technologieversprechen investierte.
Der traditionsreiche Bereich der Nutzfahrzeugsantriebe wurde bereits unter dem Namen Driventic ausgegliedert. Voith richtet sich damit stärker auf industrielle Zukunftsthemen aus – ein Schritt, der intern durchaus kontrovers gesehen wird.
Ein Unternehmen an der Schwelle zur nächsten Generation
Voith ist ein Familienunternehmen in der fünften und sechsten Generation – operativ jedoch seit Jahren nicht mehr von Familienmitgliedern geführt. Für Hoke bedeutet das: strategische Freiheit, aber auch Verantwortung, eine 160 Jahre alte Marke sicher in die Zukunft zu tragen.
Sein Auftrag ist klar: Voith modernisieren, bevor die globalen Wettbewerber den Konzern endgültig abhängen. Doch die Rechnung wird erst aufgehen, wenn er Belegschaft, Kunden und Eigentümer gleichermaßen überzeugt – und die betriebswirtschaftlichen Zahlen wieder nach oben zeigen.
Aktuell kämpft Voith noch mit den Altlasten einer langen Phase des Stillstands. Doch eines hat der neue Chef bereits geschafft: Bewegung erzeugt. Der Konzern verändert sich – ob freiwillig oder aus Zwang. Und die deutsche Maschinenbauindustrie wird aufmerksam verfolgen, ob dieser Umbau gelingt. Denn Voith ist nicht irgendein Unternehmen. Es ist ein Gradmesser, wie tief die Krise im Maschinenbau tatsächlich reicht.


