Compliance-Verdacht: EY soll interne Daten der Autobahn GmbH genutzt haben
Eine E-Mail mit Sprengkraft
Was damals wie eine routinierte IT-Abfrage wirkte, entpuppt sich heute als möglicher Compliance-GAU: Im April 2024 verschickte ein externer Berater des Beratungsriesen EY eine E-Mail an 19 Führungskräfte der Autobahn GmbH. Die Empfänger sollten sämtliche laufenden Beratungsverträge offenlegen – inklusive Tagessätze, Personal, Vertragsvolumen und Projekte. Genau jene Informationen also, die im Vergaberecht als besonders sensibel gelten.
Brisant war nicht nur der Inhalt der Anfrage. Brisant war, dass sie nicht von einer internen Führungskraft kam, sondern von einem externen Berater – und dass dieser die Daten später in aktualisierten Fassungen weiterführte. Nach Handelsblatt-Informationen gab eine hochrangige Führungskraft der Autobahn GmbH den Auftrag dazu.
Der Verdacht, so Ermittlerkreise, sei gravierend: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse könnten direkt an EY geflossen sein – in einer Phase, in der sich das Beratungsunternehmen selbst um millionenschwere IT-Aufträge des Bundes bewarb.
Staatsanwaltschaft prüft den Fall
Das Landeskriminalamt Berlin hat den Vorgang inzwischen an die Staatsanwaltschaft übergeben. Im Raum stehen gleich mehrere Straftatbestände: Bestechlichkeit, Vorteilsnahme und Verrat von Geschäftsgeheimnissen. Die Ermittler wollen klären, ob EY durch die sensiblen Daten einen Wettbewerbsvorteil erlangte. Laut Vergabeunterlagen hat EY im Mai 2025 tatsächlich einen der Zuschläge für den zentralen IT-Betrieb der Autobahn GmbH erhalten.
Für Compliance-Experten ist der Vorgang kaum erklärbar. Ein externer Berater, der interne Vertragsdetails aller Wettbewerber erfasst – und diese Informationen während eines Vergabeverfahrens nutzt? „Eine Goldgrube“, nennt es der Verwaltungswissenschaftler Thomas Deelmann. Und ein klassischer Interessenkonflikt, der eigentlich jede weitere Zusammenarbeit ausschließen müsste.
Eine Beraterstruktur, die außer Kontrolle geraten ist
Die Autobahn GmbH, 2018 gegründet, sollte Effizienz, Modernisierung und digitale Steuerung in die deutsche Verkehrsinfrastruktur bringen. Stattdessen dominieren seit Jahren Beraterabhängigkeit, IT-Probleme und Intransparenz den Betrieb.
120 Beratungsfirmen sind aktuell beauftragt, allein im IT-Bereich 17 – nahezu ein Verhältnis von eins zu eins zwischen internen Mitarbeitern und externen Kräften. Die Honorare sollen sich in der IT-Abteilung allein auf rund 40 Millionen Euro jährlich summieren.
Intern kursiert längst der Vorwurf, es habe sich eine Beraterkultur etabliert, die interne Kompetenz verdränge. Mitarbeiter sprechen von einem „Netzwerk externer Berater“, das sich seit Jahren verfestigt habe. Die Erinnerung an den Beraterskandal im Verteidigungsministerium liegt für einige nicht fern.
EY schweigt – und behält den Auftrag
EY selbst verweigert jede Aussage zu den Vorwürfen. Die Autobahn GmbH hält sich ähnlich bedeckt und verweist auf eine interne Prüfung. Fest steht: Die Liste mit geschützten Daten der Wettbewerber wurde 2024 erstellt – und im Januar 2025 erneut aktualisiert. Wenige Monate später erhielt EY einen langfristigen Auftrag mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren.
Für die Autobahn GmbH ist dieser Vorgang mehr als ein Ärgernis. Er trifft ein Unternehmen, das ohnehin angeschlagen ist. Ständige Wechsel in der Führung, IT-Fehlentwicklungen, unübersichtliche Strukturen – und nun der Verdacht, dass sensible Unternehmensdaten an einen eigenen Auftragnehmer weitergereicht wurden.
Ein Fall, der den öffentlichen Sektor verändern könnte
Für den Staat und seine Beraterlandschaft ist dieser Fall ein Weckruf. Seit Jahren wächst die Abhängigkeit von externen Beratungshäusern; das Wissen wandert nach außen, die Risiken nach innen. Wenn externe Dienstleister Einblick in interne Preis- und Vertragslisten von Wettbewerbern erhalten – und diese Informationen in laufenden Vergabeverfahren nutzen können –, gerät das Fundament fairer Ausschreibungen ins Wanken.
Noch gibt es keine Anklage. Noch laufen Prüfungen. Doch der Fall zeigt bereits jetzt, wie fragil Governance-Strukturen werden, wenn Outsourcing ohne Grenzen betrieben wird. Die Autobahn GmbH wollte einst ein Vorzeigeprojekt moderner Verwaltung sein. Stattdessen steht sie nun sinnbildlich für eine zentrale Frage: Wer kontrolliert eigentlich die Berater, die den Staat beraten?
Die Antwort darauf wird die deutsche öffentliche Verwaltung noch lange beschäftigen.


