Verwirrung um Aussetzung der Atomlaufzeiten

Berlin (dpa) - Die Bundesregierung hat die Pläne zur dreimonatigen Abschaltung von alten Atomkraftwerken anscheinend mit heißer Nadel gestrickt und kommt nun in Erklärungsnöte.

Das Moratorium - also die Aussetzung der Laufzeitverlängerung - sei politisch zu verstehen, nicht rechtlich, sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nach einer Sondersitzung des Umweltausschusses.

Das bedeutet, dass das neue Atomgesetz mit den im Schnitt zwölf Jahre längeren Laufzeiten weiter gilt und die Konzerne von womöglich dauerhaft abgeschalteten AKW langjährige Betriebsgenehmigungen auf neuere Anlagen übertragen können. Diese würden dann weit über 2040 hinaus laufen.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, es gehe um eine «faktische» Aussetzung der Laufzeiten. In Koalitionskreisen hieß es, dies sei notwendig um Klagen der Betreiber zu vermeiden. Zudem habe so besser eine Entscheidung ohne Bundestag getroffen werden können, als wenn das ganze Atomgesetz ausgesetzt worden wäre.

Die Regierung hatte als Konsequenz aus der Atomkatastrophe in Japan die längeren Atomlaufzeiten am Montag für drei Monate auf Eis gelegt («Moratorium»). Am Dienstag beschloss sie mit den fünf betroffenen Ländern, die sieben ältesten Meiler und den Pannenreaktor Krümmel für diese Zeit abzuschalten.

Nach Angaben der «Süddeutschen Zeitung» erwägt der größte deutsche Stromkonzern Eon eine Klage, sollten Meiler dauerhaft vom Netz nehmen. Mit jedem abgeschriebenen AKW lässt sich etwa eine Million Euro pro Tag verdienen. Röttgen sagte dem «Stern», er wolle eine möglichst raschen Atomausstieg und sprach von 10 bis 15 Jahren.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bezweifelt, dass die atompolitischen Maßnahmen ohne Zustimmung des Bundestags zulässig sind. «Ich lasse prüfen, ob es dazu weiterer korrigierender gesetzlicher Regelungen bedarf», sagte er der «Berliner Zeitung». SPD-Fraktionsmanager Thomas Oppermann sagte: «Merkel operiert damit außerhalb der Verfassung.» Staatsrechtler betonten, Gesetze könnten nur vom Parlament beschlossen oder ausgesetzt werden.

Die Bundesregierung lässt das neue Atomgesetz in Kraft und begründet die Abschaltung mit Paragraf 19, Absatz 3. Dort ist geregelt, dass Kernkraftwerke in Notlagen vorübergehend oder ganz stillgelegt werden können. Nach Ansicht von Umweltminister Röttgen genügt der Verdacht einer Gefahr für die vorläufige Abschaltung. Es gehe um Gefahrenvorsorge sagte er. Doch Juristen zweifeln auch hier an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme und geben Klagen der Konzerne wegen Einnahmeausfällen gute Chancen, weil der atomare Sonderfall für die Anwendung von Paragraf 19 nicht vorliege.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) findet die Diskussion «etwas spitzfindig», wie sie bei einem Wahlkampfauftritt im baden-württembergischen Waldshut-Tiengen sagte. Der Plan der Regierung sei durch das Atomgesetz gedeckt. «Wenn bestimmte Sicherheitsfragen auftreten, dann kann es eine Anordnung geben der jeweiligen Bundesländer, das Kraftwerk vorübergehend auszuschalten», sagte Merkel. «Die Länder handeln nun im Auftrag der Bundesregierung.»

In der Sendung «RTL Aktuell» erklärte sie, es bedürfe «keiner Befassung des Deutschen Bundestages, weil es ein bestehendes und vom Deutschen Bundestag beschlossenes Gesetz ist». Ob die sieben älteren Meiler auch nach Ende des Moratoriums ausgeschaltet bleiben, ließ sie offen. Röttgen hält nach dem Moratorium ein neues Atomgesetz für möglich.

Merkel hält höhere Strompreise weger der AKW-Abschaltung für wahrscheinlich. «Tendenziell bedeutet jede Verknappung natürlich auch, dass das auf den Preis einen Einfluss haben kann», sagte die CDU-Chefin bei RTL. Sie rechne aber nicht mit einer «dramatischen Veränderung».

Greenpeace-Atomexperte Tobias Münchmeyer kritisierte Merkels Atom-Moratorium wegen der rechtlichen Zweifel «als das kürzeste Moratorium in der Geschichte der Bundesrepublik». «Merkel hat sich endgültig in ihren wahltaktischen Tricks verheddert.»

Nach Angaben der Regierung gibt es von den Energiekonzernen keine schriftlichen Zusicherungen für den Verzicht auf Schadenersatzforderungen. «Ich sehe aber derzeit keine Klagen im Raume stehen», sagte Regierungssprecher Seibert. Die geplante dreimonatige Abschaltung kostet die Konzerne nach Berechnung des Bremer Wirtschaftsprofessors Wolfgang Pfaffenberger für «Spiegel Online» mehr als eine halbe Milliarde Euro Umsatz.

Vorübergehend vom Netz gehen sollen das AKW Neckarwestheim I, Philippsburg I (Baden-Württemberg), Biblis A und B (Hessen), Isar I (Bayern), Unterweser (Niedersachsen) und das ohnehin stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Auch das nach Pannen stillstehende AKW Krümmel in Schleswig-Holstein soll abgeschaltet bleiben. Einige Meiler davon sollen nach dem Willen der Regierungen für immer abgeschaltet werden. Die Konzerne warten die entsprechenden Anweisungen der Behörden ab.

Alle 17 deutschen Meiler sollen bis 15. Juni überprüft werden. Bayern kündigte an, alle fünf Kernkraftwerke im Land mit Sonderinspektionen zu überprüfen. Mecklenburg-Vorpommern will auch das Atommüll-Zwischenlager bei Lubmin einbeziehen lassen. Die Reaktor-Sicherheitskommission trifft sich an diesem Donnerstag, um einen Zeitplan für die Sicherheitsprüfung zu erstellen.

Trotz der Atomkatastrophe in Japan hält eine große Mehrheit der Bundesbürger die Atomkraft für unverzichtbar. 71 Prozent gaben dies in einer Forsa-Umfrage für das Magazin «Stern» an. Allerdings seien es 10 Prozent weniger als 2010.

Atom / Deutschland
16.03.2011 · 19:37 Uhr
[11 Kommentare]
 
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