Nach Urteil Koalitionsstreit über Datenspeicherung

Berlin (dpa) - Nach der vom Bundesverfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung zeichnet sich in der Koalition ein neuer Konflikt über Maßnahmen in der Strafverfolgung ab.

Die Union pocht auf rasche Konsequenzen und neue Regeln, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht dagegen keinen Grund zur Eile. Sie warnte vor Schnellschüssen. Die EU-Kommission erwartet von Deutschland Bewegung. Berlin müsse nun rasch ein neues Gesetz erarbeiten, sagten EU-Diplomaten am Dienstag in Brüssel. Die Wirtschaft will Kosten in dreistelliger Millionenhöhe für die Speicherung erstattet bekommen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will an der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung festhalten. Er forderte Leutheusser-Schnarrenberger am Dienstag auf, die entsprechende EU- Richtlinie zügig und verfassungskonform umzusetzen. «Ich hätte mir am heutigen Tag ein anderes Urteil gewünscht», sagte de Maizière. Die Richter hätten jedoch Wege aufgezeigt, wie man die Speicherung von Vorratsdaten umsetzen könne. Zuständig sei die Justizministerin: «Jetzt ist es an der Zeit, nicht mehr nur "Nein" zu sagen. Sondern jetzt ist es an der Zeit, kluge Gesetzgebungsarbeit zu leisten.»

Leutheusser-Schnarrenberger wies Befürchtungen von Innenpolitikern der Union zurück und begrüßte ausdrücklich das Karlsruher Urteil. «Wir haben hier keine rechtsfreien Räume, keine Sicherheitslücken, die jetzt zu Gefährdungen in Deutschland führen.» Das Urteil werde «sehr sorgfältig» ausgewertet. Fristsetzungen für neue gesetzliche Regelungen seien nicht angebracht. Leutheusser-Schnarrenberger will ihre Überlegungen in die Pläne der EU-Kommission einbetten: «Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für nationale Schnellschüsse.»

Die Ministerin betonte: «Diese Entscheidung wird auch auf Europa ausstrahlen.» Für weitere anlasslose Datensammlungen auch auf dem EU- Weg werde der Spielraum nach dem Urteil erheblich geringer - etwa die Speicherung von Flugpassagier-Daten. «Das ist ein wirklicher Tag zur Freude.» Karlsruhe bewege sich klar auf der Linie der Rechtsprechung der vergangenen Jahre, sagte sie mit Blick auf die Urteile etwa zum Großen Lauschangriff, zu Telefonüberwachung, Rasterfahndung, zur Luftsicherheit oder Online-Untersuchung. Es gehe um die richtige Balance, die mit Gesetzen nicht immer getroffen worden sei. Der FDP- Parteivorsitzende und Vize-Kanzler Guido Westerwelle sagte: «Ich finde es hervorragend, dass Liberale dieses Urteil erstritten haben.»

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), bedauerte das Urteil. «Dieses Urteil ist eines, das uns erst einmal in Schwierigkeiten bringen wird, weil wir Instrumente nicht anwenden können», sagte Altmaier. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach, hatte vor dem Urteil betont, die umstrittene Datensammlung sei nötig für den Anti-Terror- Kampf. Sollte das Gesetz stark eingeschränkt werden, «werden wir viele Straftaten nicht mehr verhindern und aufklären können.»

Grünen-Chefin Claudia Roth sprach von einem «riesengroßen Erfolg» und einer «richtigen Klatsche» für den Gesetzgeber. Die Piratenpartei nannte das Urteil eine «schallende Ohrfeige für die bürgerrechtsfeindliche Gesetzgebung der letzten Jahre». Jetzt gelte es dafür zu sorgen, dass die entsprechende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für unrechtmäßig erklärt werde.

Die Telekommunikations-Wirtschaft verlangt von der Bundesregierung hunderte Millionen Euro für die verlangte Speicherung der Daten. Branchenverbände argumentieren, dass die ohnehin schon hohen Kosten mit dem Urteil nochmals erheblich steigen. Nach Auffassung der Verfassungsrichter sind allerdings die finanziellen Lasten der Datenspeicherung für die betroffenen Unternehmen zumutbar.

«Die Autobranche wird auch nicht gezwungen, kostenlose Polizeiwagen zu liefern», kritisierte der Präsident des Verbandes Bitkom, August-Wilhelm Scheer, auf der weltgrößten IT-Messe CeBIT in Hannover. Der Geschäftsführer des Branchenverbandes VATM, Jürgen Grützner, sagte: «Die Telekomunternehmen haben bereits Millionen Euro investiert, um in Vorleistung zu gehen. «Wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung uns - den Telekomunternehmen - das bezahlen muss». Grützner geht davon aus, «dass wir die Daten erst komplett löschen und dann wieder speichern müssen. Der Industrieverband BDI nannte das Urteil wegweisend für die digitale Zukunft.

Urteil / Innere Sicherheit / Datenschutz / Internet / Reaktionen
02.03.2010 · 21:14 Uhr
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