Erneutes Massaker in Syrien

Damaskus/Istanbul/New York (dpa) - Sie wurden mit Knüppeln erschlagen und mit Messern aufgeschlitzt: Eineinhalb Wochen nach dem Massaker von Al-Hula sind nach Angaben von Aktivisten in Al-Kobeir in der syrischen Provinz Hama erneut 80 Menschen auf teils bestialische Weise umgebracht worden.

Bei dem Blutbad seien am Mittwoch in der kleinen Siedlung 22 Kinder, 20 Frauen und 38 Männer getötet worden. UN-Beobachter wurden vom Militär auf dem Weg nach Al-Kobeir gestoppt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, die unbewaffneten Beobachter seien von Unbekannten aus Handfeuerwaffen beschossen worden. Er geißelte das Massaker, das weltweit Entsetzen auslöste, bei einer UN-Sondersitzung in New York als «unaussprechliche Barbarei».

Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat nach den Worten Bans das Recht verloren, für das syrische Volk zu sprechen und es zu führen. «Tausende Syrer wurden getötet und ganze Familien ausgelöscht. Männer, Frauen und selbst Kinder wurden hingerichtet. Jedes Regime, das solche Taten zulässt, hat keine Legitimität mehr», sagte Ban am Donnerstag bei der Sondersitzung der UN-Vollversammlung.

«Wir sind schockiert von einem neuen Massaker in einem Dorf, das von Streitkräften des Regimes umzingelt war», sagte Ban. «Sie wurden erschossen, einige offensichtlich verbrannt oder mit Messern aufgeschlitzt.» Er forderte eine Bestrafung der Schuldigen. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay erklärte, in Syrien sei der Tatbestand der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllt. Das Weiße Haus in Washington sprach von einem «Affront gegen die Menschenwürde und Gerechtigkeit». «Wir rufen erneut alle Nationen auf, ihre Unterstützung für dieses brutale und unrechtmäßige Regime aufzugeben», hieß es in der US-Erklärung weiter.

Nach Angaben von Aktivisten umstellte die Armee die nur aus 25 Häusern bestehende Siedlung Al-Kobeir erst mit Panzern und beschoss sie eine Stunde lang. Anschließend habe man Milizionäre aus dem Nachbardorf Al-Asile in die Siedlung geschickt, um die Überlebenden mit Messern zu massakrieren. Ein Augenzeuge sagte der dpa, viele der Opfer seien mit Knüppeln erschlagen worden. Filmmaterial auf oppositionellen Webseiten zeigt Körper von Kindern, die bis zu Unkenntlichkeit verbrannt sind. In anderen Berichten hieß es, 30 der Männerleichen seien von Milizionären abtransportiert worden.

Die staatlichen syrischen Medien wiesen die Vorwürfe zurück und machten wie schon nach dem Massaker von Al-Hula erneut «Terroristen» für die Tat verantwortlich. Das Blutbad in der Nähe von Homs hatte international für Empörung gesorgt: In Al-Hula waren mehr als 100 Menschen getötet worden, darunter sehr viele Frauen und Kinder.

Ban warf Assad vor, den international vereinbarten Friedensplan nicht zu respektieren. Sondervermittler Kofi Annan räumte ein, dass sein Sechs-Punkte-Plan für Syrien auch nach knapp drei Monaten nicht greift. «Die Krise hat sich verschärft, die Gewalt nimmt zu und das Land ist zerrissener denn je», sagte er bei der UN-Sondersitzung.

Im UN-Sicherheitsrat forderte er anschließend «Konsequenzen» für die syrische Regierung wegen der Missachtung des Friedensplanes. Die internationale Gemeinschaft müsse seine Bemühung unterstützen und Druck machen, sagte Annan. Westliche Diplomaten werteten dies als Aufforderung, seinen Plan mit einer Sanktionsdrohung zu verbinden.

Die syrischen Regimegegner forderten nach dem Massaker von Al-Kobeir die Vereinten Nationen auf, militärisch einzugreifen. Derartige Einsätze kann jedoch nur der UN-Sicherheitsrat anordnen. Dort blockieren allerdings die Veto-Mächte Russland und China bislang ein härteres Vorgehen gegen das Assad-Regime.

China und Russland sowie ihre vier zentralasiatischen Partnerländer erklärten zum Ende des Gipfels der Shanghaier Kooperationsorganisation (SCO) in Peking, sie lehnten «eine bewaffnete Intervention oder einen erzwungenen Regimewechsel» ab. Außerdem seien sie gegen «einseitige Sanktionen», die nur gegen das Assad-Regime gerichtet seien.

Der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) rief die Deserteure der Freien Syrischen Armee, die bewaffneten Widerstandsgruppen und die lokalen Protestgruppen auf, stärker aktiv zu werden. Dadurch sollen die Regimetruppen abgelenkt und gezwungen werden, ihre Angriffe auf Dörfer in Hama, Latakia und Homs einzustellen.

Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter forderte die UN-Beobachter auf, sich vor Ort ein Bild zu machen. Sollten sie dazu nicht in der Lage sein, «dann sagen wir ihnen: "Danke, Ihr könnt in Eure Heimatländer zurückkehren"», hieß es. Ein in der Stadt Hama stationiertes Beobachter-Team machte sich am Morgen nach Angaben eines Sprechers auf den Weg nach Al-Kobeir, wurde aber aufgehalten.

Der Leiter der UN-Beobachtermission, General Robert Mood, erklärte: «Sie werden an Straßensperren der syrischen Armee gestoppt und zum Teil auch zurückgeschickt. Einige unserer Patrouillen werden von Zivilisten in dem Gebiet aufgehalten. Wir erhalten Informationen von Bewohnern in dem Bezirk, dass die Sicherheit unserer Beobachter nicht gesichert ist, wenn wir das Dorf Al-Kobeir betreten». Die Beobachter wollten dennoch weiter versuchen, in das Dorf zu gelangen.

Die staatliche Nachrichtenagentur Sana dementierte die Berichte der Opposition. Sie erklärte, «bewaffnete Terrorgruppen» hätten die Siedlung überfallen und dort neun Frauen und Kinder getötet. Ihr Ziel sei es offensichtlich gewesen, vor der Sitzung im Sicherheitsrat «Druck auszuüben». Daraufhin seien die Regierungstruppen dort aufmarschiert. Bei einem anschließenden Gefecht seien mehrere der Angreifer und zwei Angehörige der Regierungstruppen getötet worden. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben ist nicht möglich.

Außenminister Guido Westerwelle warnte unterdessen vor einem Übergreifen des Syrien-Konflikts auf den Libanon. «Die Gefahr, dass auch die Nachbarstaaten angesteckt werden, ist groß», sagte Westerwelle vor einem Besuch im Libanon am Donnerstag in Istanbul.

Konflikte / Syrien
07.06.2012 · 23:03 Uhr
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