Der Schattenbroker der Fintechs
Wer bei den Investmentangeboten europäischer Fintechs genauer hinschaut, stößt immer wieder auf denselben Namen – meist gut versteckt im Kleingedruckten: Upvest. Das Berliner Start-up ist kein Broker im klassischen Sinne, sondern die technische und regulatorische Infrastruktur hinter vielen bekannten Apps. Ob Revolut, N26, Vivid oder Raisin – sie alle greifen für Aktien, ETFs, Fonds oder Krypto auf das gleiche Rückgrat zurück. In der Branche heißt dieses Modell Brokerage-as-a-Service.
Upvest agiert dabei bewusst im Hintergrund. Die Endkunden kennen die Marke meist nicht, für Banken und Fintechs ist sie jedoch geschäftskritisch. Gründer Martin Kassing bezeichnet das Unternehmen selbstironisch als eine Art „Schattenbroker“ – und trifft damit den Kern des Modells.
Früher Start, technischer Vorsprung
Upvest wurde 2017 von Martin Kassing, Til Rochow und Tobias Auferoth gegründet – zu einer Zeit, als viele Neobroker noch in den Kinderschuhen steckten. Dieser frühe Markteintritt ist aus Kassings Sicht einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren.
„Wir haben sehr früh mit dem Modell begonnen und konnten Kunden wie Revolut bereits kurz nach dem Start gewinnen“, sagt Kassing. Entscheidend sei gewesen, die Plattform von Beginn an skalierbar und modular zu bauen – nicht für Endkunden, sondern für professionelle Geschäftspartner.
Das zahlt sich aus: Heute wickelt Upvest rund 120 Millionen Trades pro Jahr ab, mit einem Handelsvolumen von etwa 20 Milliarden Euro. Das Wachstum verlief rasant – laut Kassing habe sich das Geschäft seit der Gründung jedes Jahr verdoppelt oder sogar verdreifacht.
Investoren, Volumen und ein sensibler Coup
Auch auf der Finanzierungsseite ist Upvest längst kein Start-up mehr im klassischen Sinne. Insgesamt flossen bislang 175 Millionen Euro in das Unternehmen. Zu den Investoren zählen Earlybird, HV Capital, BlackRock, zuletzt kamen mit Hedosophia und Sapphire Ventures weitere prominente Namen hinzu. Allein die jüngste Runde brachte 100 Millionen Euro.
Ein strategisch wichtiger Erfolg war zuletzt der Gewinn der DKB als Kunde – der zweitgrößten deutschen Direktbank. Brisant daran: Upvest löste dabei den etablierten Abwickler DWP ab, der kurz zuvor den Wettbewerber Lemon Markets übernommen hatte. Für die Branche war das ein Signal, dass sich auch große Banken zunehmend für spezialisierte Infrastruktur-Anbieter entscheiden – statt alles selbst zu betreiben.
Warum Banken die Infrastruktur auslagern
Das Geschäftsmodell von Upvest lebt von Skaleneffekten. Je mehr Volumen über die Plattform läuft, desto günstiger wird die Abwicklung für die Kunden. Genau darin sieht Kassing den zentralen Schutz vor Nachahmern.
Zwar könnten große Banken theoretisch eigene Systeme bauen – praktisch lohne sich das aber kaum. „Die Stückkosten sprechen klar dagegen“, sagt Kassing. Zudem sei die regulatorische Komplexität enorm. Upvest übernimmt nicht nur Technik, sondern auch Lizenzierung, Verwahrung, Reporting und regulatorische Updates.
Ein weiterer Vorteil: Time-to-Market. Neue Produkte wie zuletzt ELTIF-Fonds integriert Upvest innerhalb von ein bis drei Monaten. Kunden können diese anschließend direkt europaweit anbieten. Für einzelne Banken wäre dieses Tempo kaum darstellbar.
Politischer Rückenwind: Die Frühstart-Rente
Den nächsten großen Wachstumsschub erwartet Kassing ausgerechnet aus Berlin. Union und SPD planen mit der Frühstart-Rente ein staatlich gefördertes Aktiendepot für Kinder und Jugendliche. Vorgesehen ist ein Zuschuss von 10 Euro pro Monat für 6- bis 18-Jährige.
Noch größer wäre der Effekt eines umfassenden Altersvorsorgedepots, das später darauf aufsetzt. Kassing rechnet vor:
Wer zwischen 18 und 65 Jahren investiert und langfristig 7 Prozent Rendite erzielt, komme auf rund 100.000 Euro Kapital – allein durch den staatlichen Anstoß.
Intern kalkuliert Upvest bei Einführung eines solchen Modells mit bis zu einer Billion Euro verwaltetem Vermögen innerhalb von zehn bis 15 Jahren. Für Broker, Banken – und die Infrastruktur dahinter – wäre das ein historischer Wachstumsschub.
Selektiv statt Masse
Trotz des Booms lehnt Upvest nicht jeden Kunden ab. Im Gegenteil: Kassing betont, dass man selektiv vorgehe. Nicht jedes Geschäftsmodell passe zur Plattform, nicht jeder Anwendungsfall lasse sich sinnvoll integrieren.
Das Ziel sei nicht maximale Kundenzahl, sondern stabile, langfristige Partnerschaften. Denn je tiefer Upvest in die Wertschöpfung seiner Kunden eingebunden ist, desto höher werden Wechselkosten – und desto robuster das Geschäftsmodell.
Ein unsichtbarer Gewinner der Finanzplattform-Ökonomie
Upvest ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Machtverhältnisse im Finanzsektor verschieben. Während Neobroker um Endkunden, Marken und Apps konkurrieren, entsteht im Hintergrund eine neue Schicht spezialisierter Infrastruktur-Anbieter. Sie sind kaum sichtbar, aber systemrelevant.
Sollte die Politik mit der Frühstart-Rente tatsächlich Millionen neue Anleger an den Kapitalmarkt führen, dürfte nicht nur die Zahl der Depots explodieren – sondern auch das Geschäft jener Firmen, die diese Depots technisch möglich machen. Upvest wäre dann einer der größten Profiteure. Ohne eigenes Frontend. Ohne Marketing für Endkunden. Aber mit direktem Zugang zu den Datenströmen der neuen Anlegergeneration.


