Demjanjuk schweigt im Prozess um 27 900 Morde

München (dpa) - Im Münchner Prozess gegen den mutmaßlichen NS- Verbrecher John Demjanjuk hat die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens gefordert. Sein Mandant sei trotz einer tödlichen Erkrankung in einer «Zwangsdeportation aus den USA» nach Deutschland gebracht worden.

Das sagte Verteidiger Ulrich Busch am Dienstag vor dem Landgericht München II. Demjanjuk schwieg auch am zweiten Prozesstag zu den Vorwürfen.

Der 89 Jahre alte gebürtige Ukrainer soll während des Zweiten Weltkriegs an der Ermordung von 27 900 Juden im Vernichtungslager Sobibor mitgewirkt haben. Angehörige von Opfern schilderten, dass sie bis zuletzt glaubten, ihre Verwandten reisten zu Arbeitseinsätzen in den Osten. Die meisten erfuhren erst nach dem Krieg die Wahrheit über die Massenmorde in den Gaskammern.

Sein Mandant sei für den Prozess abgeschoben und nicht ausgeliefert worden, kritisierte Busch. Damit habe sich die deutsche Justiz auf illegale Weise des Angeklagten bemächtigt. Zudem seien die Taten, die ihm zur Last gelegt würden, seit 1963 verjährt.

Die medizinischen Gutachter hatten am Montag eine tödliche Erkrankung von Demjanjuk verneint und ihn für eingeschränkt verhandlungsfähig erklärt. Nach Aussagen eines Mediziners handelt es sich bei Demjanjuks Knochenmarkserkrankung nicht um eine Krebserkrankung, wenngleich sie zu einer solchen werden kann. Allerdings haben die Ärzte festgelegt, dass pro Tag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden darf. Demjanjuk leidet laut ärztlichem Gutachten auch an Gicht, Herzschwäche und Bluthochdruck.

Er soll 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen der SS dabei geholfen haben, 27 900 größtenteils aus den Niederlanden stammende Juden in die Gaskammern zu treiben. Hauptbeweismittel ist ein SS-Dienstausweis mit der Nummer 1393. «Abkommandiert am 27.3.43 Sobibor» ist darauf notiert. Die Verteidigung bezweifelt die Echtheit des Dokuments. Da Demjanjuk zu den Vorwürfen schweigt, wird ein langwieriger Indizienprozess erwartet.

Verteidiger Busch hält die Einstellung des Verfahrens auch für nötig, weil nach seiner Darstellung die Vorwürfe der jetzigen Anklagepunkte schon im Demjanjuk-Prozess von 1988 in Israel eine Rolle spielten. Niemand dürfe aber im gleichen Fall zweimal angeklagt werden. 1988 war Demjanjuk in Israel als «Iwan der Schreckliche» aus dem Vernichtungslager Treblinka zum Tode verurteilt worden. 1993 wurde das Urteil aufgehoben, weil Demjanjuk verwechselt worden war. Nach insgesamt siebenjähriger Haft kehrte er in die USA zurück.

Hilfsweise beantragte Busch die Aussetzung des Münchner Prozesses. Es müssten sämtliche Ermittlungsakten aus Russland, der Ukraine, den USA und Israel hinzugezogen werden. Der Anwalt begründete seine Anträge auch damit, dass sein Mandant kein Amtsträger nach deutschem Recht gewesen sei - deshalb gebe es «keinerlei Zuständigkeit und keinerlei deutsche Strafgewalt». Das Gericht stellte die Entscheidung über die Anträge zurück, damit endlich mit der Verlesung des Anklagesatzes begonnen werden konnte.

Demjanjuk ist bisher zwar keine konkrete Tat nachweisbar. Doch die Anklage argumentiert, Sobibor sei ein reines Vernichtungslager gewesen. Wer hier arbeitete, habe keine andere Aufgabe gehabt, als bei der Ermordung der aus verschiedenen Ländern verschleppten Männer, Frauen und Kinder zu helfen. «Beim Eintreffen der Transporte waren alle verfügbaren Angehörigen der Kommandos zugegen», argumentieren die Staatsanwälte Thomas Steinkraus-Koch und Hans-Joachim Lutz. Jede andere Beschäftigung sei dann eingestellt worden, und alle hätten sich am «routinemäßigen Vernichtungsvorgang» beteiligt.

Der Angeklagte habe auch die Rasseideologie der Nazis für sich übernommen und bereitwillig an der Tötung der Juden mitgewirkt, «weil er selbst deren Tötung aus rasseideologischen Gründen wollte», heißt es in der Anklage weiter.

Fünf der rund 20 Nebenkläger, die in Sobibor teils ihre ganze Familie verloren haben, traten am Nachmittag in den Zeugenstand. Während Demjanjuk, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, reglos auf seiner Trage lag, berichtete David von Huiden, wie er als Kind mit dem deutschen Schäferhund der Familie durch die deutschen Linien ging und bei einer befreundeten Familie Unterschlupf fand. «Wir haben uns verabschiedet und gesagt, wir werden uns bald wiedersehen.» Das sei die größte Lüge gewesen. «Ich warte auf meine Eltern, ich warte auf meine Schwester - sie sind nicht wiedergekommen. Deshalb sitzen wir hier.»

Prozesse / Nationalsozialismus
01.12.2009 · 17:36 Uhr
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