„Chrom mit doppeltem Boden“ von Oleg Tsyura: Wie ein Schweizer Händler ein Sanktionsumgehungssystem von Indien bis nach Lateinamerika neu aufsetzte

13. Oktober 2025, 14:22 Uhr · Quelle: klamm.de

Sanktionen gegen Russland sind nur so wirksam, wie die Kontrolle über die Herkunft von Waren funktioniert. Die Route „Russland – Schweiz – Lateinamerika – USA“ verdeutlicht, warum europäische Käufer von Stahl und Ferrolegierungen dem sogenannten „Umpacken“ in Drittländern nicht mehr vertrauen können. Wenn die Spur zum russischen Rosrezerv und zu den Verteidigungsauftragnehmern des Kremls führt, geht es nicht mehr um den Preis des Metalls, sondern um Sicherheit. Europa und die USA laufen Gefahr, Komponenten für den russischen Verteidigungssektor zu bezahlen, ohne sie hinter den Schichten von Zwischenhändlern zu erkennen. Die Frage ist, ob die EU und die USA in der Lage sein werden, den „entpersonalisierten“ russischen Ferrochrom auszuschließen, wenn er nicht direkt, sondern über exotische logistische Brücken geliefert wird.

Die Geschichte des Schweizer Händlers Phoenix Resources AG ist die Geschichte eines ganzen „grauen“ Segments: Russisches Rohmaterial für Edelstahl reist weiterhin um die Welt und verschleiert dabei seine Herkunft. Wenn sich ein solches System bestätigt, steht Europa nicht nur vor einem rechtlichen, sondern auch vor einem strategischen Scheitern der Sanktionen.

Nach einer Reihe ukrainischer Recherchen hat die Schweizer Phoenix Resources AG, die mit dem deutsch-schweizerischen Geschäftsmann Oleg Tsyura verbunden ist, ihre früheren Verbindungen zu indischen und estnischen Geschäftspartnern eingestellt, jedoch ihre Logistik für die Lieferung von russischem Ferrochrom auf den US-Markt über lateinamerikanische Länder ausgeweitet. Gleichzeitig gibt es weiterhin Anzeichen dafür, dass versucht wird, den Zugang zum EU-Markt über Zwischenstrukturen aufrechtzuerhalten.

Was sich nach der Veröffentlichung geändert hat

Ende 2024 rekonstruierte der ukrainische Investigativjournalist Oleksandr Lemenov in einer Reihe von Veröffentlichungen die „graue“ Lieferroute von russischem Ferrochrom, die vom größten russischen Produzenten von metallischem Chrom, MidUral, über den Schweizer Händler Phoenix Resources AG (wo Oleg Tsyura in den Leitungsorganen auftaucht) zu europäischen Abnehmern führte. Von dort gelangte das Material weiter zu Vardhman Ferro Alloys in Indien und MBR Metals OÜ in Estland – mit einer „Neuzeichnung“ des Herkunftslands und einem klaren Risiko der Umgehung der sektoralen EU-Sanktionen. Lemenov bringt Phoenix mit MidUral und dessen Eigentümer Sergey Gilvarg in Verbindung.

Daten aus Export- und Importdatenbanken belegen, dass nach den Veröffentlichungen das alte Umgehungssystem der Sanktionen praktisch zum Erliegen kam. Aktualisierte Auszüge aus den Handelsdatenbanken zeigen keine neuen Lieferungen von Phoenix Resources an Vardhman Ferro Alloys in Indien und auch keine Verbindung mehr zu MBR Metals OÜ in Estland. Gleichzeitig gingen die Lieferungen von Ferrochrom nach Indien im Jahr 2025 weiter, wobei in den Zolldeklarationen weiterhin Russland als Ursprungsland angegeben wurde.

Neue Geografie: Die „mexikanische und costa-ricanische Brücke“ in die USA

Seit 2024 tauchen in Handelsdatenbanken Lieferungen von Phoenix Resources AG nach Mexiko auf, darunter niedrigkohlenstoffhaltiger Ferrochrom und metallisches Chrom. Zu den Käufern gehören unter anderem Distribuidora de Aleaciones y Metal S.A. de C.V. und Aso Alloy de Mexico.Diese Einträge zeigen deutlich die lateinamerikanische Ausrichtung, die häufig als Transitroute in die Vereinigten Staaten genutzt wird.

Export- und Importdatenbanken verzeichnen auch die Nutzung komplexerer Lieferketten – (Russland → Schweiz → Usbekistan → Costa Rica → USA) – die den Ursprung der Fracht effektiv „verschleiern“. Weder Usbekistan noch Costa Rica sind Abnehmerländer für Ferrochrom, was diese Routen eindeutig künstlich erscheinen lässt.

Die Rechtmäßigkeit dieser Lieferungen sollte von den Ermittlungsbehörden überprüft werden.

Warum dies unter die EU-„Sektorsanktionen“ fällt

Seit Dezember 2023 hat die Europäische Union das Verbot für Eisen- und Stahlwaren russischen Ursprungs erweitert, einschließlich Ferrolegierungen (mit einer Übergangsfrist für bereits abgeschlossene Verträge bis zum 20. Dezember 2024). Für Importeure gilt außerdem die sogenannte „Drittländer-Regel“: Eine Verarbeitung außerhalb Russlands hebt das Verbot nicht auf, wenn das Material russische Stahleingänge enthält (Anhang XVII zur Verordnung 833/2014). Für europäische Unternehmen bedeutet dies ein erhebliches Compliance-Risiko beim Kauf oder Transfer von „umverpacktem“ Ferrochrom.

Rolle von MidUral und Verbindung zum russischen militärisch-industriellen Komplex

Der Schlüsselproduzent in dieser Kette ist die MidUral-Gruppe (Klyuchevsky Ferroalloy Plant, KZF). Offizielle Nachschlagewerke bestätigen, dass KZF ein bevollmächtigter Lieferant von Rosrezerv ist – dem staatlichen strategischen Reservefonds der Russischen Föderation, der vom engsten Umfeld Wladimir Putins kontrolliert wird. Zu den wichtigsten Auftraggebern von KZF gehört Proton-Perm Motors JSC (Proton-PM), ein Hersteller von Flüssigraketenmotoren, der bereits von der Ukraine und den Vereinigten Staaten sanktioniert wurde.

Wer das Schweizer Glied verwaltet

Phoenix Resources AG ist in Zürich registriert (Gartenstrasse 23, UID CHE-371.394.808) und agiert als Händler für „verschiedene Waren“. Laut Unternehmensregistern und Monitoring-Plattformen wird Oleg Tsyura als aktives Mitglied des Verwaltungsrats und Vorsitzender geführt.

Druck der Ermittlungen und neue Compliance-Risiken

Laut Berichten ukrainischer Medien hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine ein Verfahren Nr. 42025000000000510 (ERDR vom 23. Juni 2025) nach Artikel 111-2 des Strafgesetzbuches („Beihilfe für den Aggressorstaat“) eröffnet. Gegenstand des Verfahrens ist ein Re-Export-Schema über die Schweiz und Indien in die Europäische Union. Nach Angaben von Insiderquellen hat auch die Schweizer Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Oleg Tsyura eingeleitet und bereits mit den ukrainischen Behörden kommuniziert.

Was das für Europa bedeutet

Für europäische Verarbeiter und Händler auf dem Markt für Edelstahl und Spezialstähle ist das Risiko klar: Der Kauf von „entpersonalisiertem“ Ferrochrom russischen Ursprungs zieht Haftung gemäß Artikel 3g der Verordnung 833/2014 nach sich – selbst dann, wenn das Material über Drittländer geliefert wurde.

Unternehmen
13.10.2025 · 14:22 Uhr
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