Scharfe Kritik an Urteil gegen religiöse Beschneidungen

Berlin/Stuttgart (dpa) - Eingriff in die Religionsfreiheit oder Schutz vor Körperverletzung - das Urteil des Kölner Landgerichts gegen die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen hat heftige Kritik von Juden, Muslimen und Katholiken ausgelöst.

Der Zentralrat der Muslime nannte die Entscheidung «einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht». Die Türkische Gemeinde in Deutschland warnte vor einem «Beschneidungstourismus» in Länder, in denen solche Eingriffe nicht bestraft werden. Nach dem Zentralrat der Juden äußerten am Mittwoch auch andere Juden ihr Unverständnis.

Nach Ansicht der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gefährdet das Urteil die Religionsfreiheit der Juden und Muslime in Deutschland. Die Bischofskonferenz kritisierte die Entscheidung als «äußerst befremdlich» und bezeichnete das Verbot als schwerwiegenden Eingriff in die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern. «Es ist auch nicht einsichtig, weshalb die Beschneidung dem Interesse des Kindes zuwiderlaufen soll, später selbst über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden», erklärte der Vorsitzende der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Bischof Heinrich Mussinghoff.

Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) sagte zu dem Urteil, es sei ein «massiver Eingriff in die Religionsfreiheit und in das Elternrecht». Das teilte der KRM-Sprecher Ali Kizilkaya am Mittwoch in Köln mit. Er kritisierte vor allem, dass die Entscheidung zu Rechtsunsicherheit führe. Im Koordinationsrat sind die großen muslimischen Verbände in Deutschland zusammengeschlossen.

Der baden-württembergische Landesvorsitzende der Religionsgemeinschaft des Islam, Ali Demir, sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Knabenbeschneidung sei «ein harmloser Eingriff» mit einer tausende Jahre alten Tradition und hohem Symbolwert. Die Entfernung der Vorhaut habe hygienische Vorteile und vermindere die Übertragung von Infektionen.

Das Kölner Gericht hatte einen Arzt, der einen muslimischen Jungen beschnitten hatte, zwar freigesprochen - allerdings mit der Begründung, dass der Mediziner von der Strafbarkeit nichts gewusst habe. Tatsächlich müssten religiöse Beschneidungen als «rechtswidrige Körperverletzung» betrachtet werden, die das Selbstbestimmungsrecht der Kinder verletzten, urteilte das Landgericht.

Der Zentralrat der Juden hatte von einem beispiellosen und dramatischen Eingriff in die Rechte der Religionsgemeinschaften gesprochen und den Bundestag aufgefordert, zu handeln. Die Türkische Gemeinde in Deutschland geht davon aus, dass eine höhere Instanz das Urteil korrigiert.

Für die Grünen könnte das Urteil Anlass für eine gesetzliche Regelung sein. «Mir scheint diese Rechtsprechung mehr als fragwürdig», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck. «Wir müssen uns darüber Gedanken machen, ob wir die Religionsfreiheit der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaft besser schützen müssen.»

Der Rabbiner David Goldberg aus Hof in Bayern wies die Behauptung zurück, die Beschneidung sei Körperverletzung. «Bei einer Herzoperation an einem Baby fragen wir das Kind ja auch nicht, ob es den Eingriff will», sagte Goldberg, der eigens für religiöse Beschneidungen in Israel ausgebildet wurde. Die Beschneidung sei Zeichen des unauflöslichen Bundes mit Gott.

Unter den Juden gebe es die Beschneidung seit 4000 Jahren. «Sie ist entscheidend für unsere Identität», sagte der orthodoxe Rabbiner der dpa. Der Eingriff habe auch medizinische Vorteile, etwa der Schutz vor Aids, Phimose (Vorhautverengung) sowie Unterleibskrebs bei Frauen und sei auch unter Nichtjuden verbreitet. «Zehn Prozent der Jungen in Deutschland sind beschnitten», sagte Goldberg.

Der Schriftsteller Rafael Seligmann nannte das Urteil lebensfremd. «Da wird ein Prinzip über Pragmatismus und Toleranz gestellt - und zwar auf blödsinnige Weise», sagte der Autor («Der Musterjude») der dpa. «Deutschland macht sich damit international lächerlich». In den USA seien 75 Prozent der Männer beschnitten. Schließlich würden bei Taufe, Namensgebung oder Religionszugehörigkeit die Neugeborenen auch nicht gefragt.

Für den Philosophen Christoph Türcke (Uni Leipzig) ist der männlichen Beschneidung weder mit medizinischen noch mit juristischen Argumenten beizukommen. «Man muss den magisch-religiösen Kern dieser Praxis erkennen», sagte der Wissenschaftler der «Süddeutschen Zeitung» (Mittwoch). Das Ritual stehe symbolisch für ein Menschenopfer. «Wenn das überwunden werden soll, dann muss dies aus der Religionsgemeinschaft selbst kommen und kann nicht von außen vorgeschrieben werden» - es sei denn bei der Klitorisbeschneidung junger Mädchen. Die männliche Beschneidung sei dagegen ein meist ungefährlicher Eingriff, sagte Türcke.

Gesundheit / Religionen
27.06.2012 · 15:42 Uhr
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