Politische Goldene Palme und Sieg der Vaterfiguren

Cannes/Hamburg (dpa) - Vaterfiguren und Franzosen sind die großen Sieger von Cannes - und das thailändische Volk, das bei blutigen Kämpfen um die politische Macht Tote zu beklagen hatte.

Mit der Goldenen Palme für den Thailänder Apichatpong Weerasethakul zeichnete die Jury unter Tim Burton einen unbequemen Filmemacher aus. «Das ist ein wichtiges Ereignis für das thailändische Kino», sagte der 39- jährige Regisseur am Sonntagabend in seiner Dankesrede. In seiner Heimat wurde die Goldene Palme für den Film «Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives» als Balsam für die geschundene Seele eines Volkes gefeiert.

So mag die Entscheidung für das surrealistisch anmutende, auch mit deutschem Geld koproduzierte Werk eine politische gewesen sein, zugleich ist es aber eine für feinstes Arthouse-Kino. Apichatpong erzählt in Traumsequenzen von einem todkranken Mann, der die beiden letzten Tage seines Lebens bei seiner Familie auf dem Land verbringen will. Dort erscheinen ihm seine tote Frau und sein verschollen geglaubter Sohn. In der ersten Nacht erzählt Boonmee von den sechs vergangenen Leben, an die er sich erinnert. In der zweiten Nacht begeben sich alle drei auf eine Reise in den Dschungel. Dabei setzt Apichatpong auf die Vorstellungskraft und Fantasie der Zuschauer. Lässt der sich auf die metaphysische Reise und die geradezu poetischen Bilder ein, erliegt er dem Zauber dieser für viele Europäer fremden Welt. Wer weniger Affinitäten zu Übersinnlichem hat, mag Langeweile verspüren.

Die Massen wird «Uncle Boonmee» wohl kaum in die Kinos locken, hatte der Film schon während des Festivals polarisiert wie kaum ein anderer der 19 Wettbewerbsbeiträge. Koproduzent Hans W. Geißendörfer hofft, dass die Goldene Palme «auch einen tüchtigen deutschen Verleiher ermutigt, den Film demnächst bei uns in die Kinos zu bringen».

Bei anderen Hauptpreise entschied sich die Jury für Favoriten und durchaus auch eingängige Filme. Jeweils drei gingen an Beiträge, in denen es um Vaterrollen geht und drei nach Frankreich.

Da ist zu allererst der Spanier Javier Bardem - ohnehin einer der wenigen Superstars bei dem 63. Festival an der Croisette. Er spielt in «Biutiful» des Mexikaners Alejandro González Iñárritu einen todkranken Vater, der seinen beiden kleinen Kindern noch ein besseres Leben vorbereiten will. Als Kleinkrimineller mit Herz in einem der übelsten Viertel Barcelonas versucht er zwar Gutes zu tun, scheitert dabei aber meist. Mit tiefer Traurigkeit und stiller Verzweifelung spielt der 41-jährige Bardem diese Figur und wurde damit als bester Schauspieler des Festivals ausgezeichnet.

Den Preis muss er sich mit dem Italiener Elio Germano in «La Nostra Vita» von Daniele Luchetti teilen. Auch der verkörpert einen Vater, der nach dem Tod seiner Frau mit seinen drei kleinen Kindern plötzlich auf sich selbst gestellt ist. So will er den Kindern materielle Sicherheit verschaffen und lässt sich auf krumme Geschäfte ein. Im Gegensatz zu Bardems Figur scheitert der Italiener nicht, stattdessen siegt das Gute, die Liebe und der Zusammenhalt.

Als einer der tragischsten Filme dürfte der mit dem Preis der Jury honorierte Beitrag aus dem Tschad gelten. In «A Screaming Man» erzählt Mahamt-Saleh Haroun von einem Vater-Sohn-Konflikt vor dem Hintergrund des vom Bürgerkrieg erschütterten afrikanischen Landes. Den Verrat an seinem Sohn muss er teuer bezahlen. Sanft und ohne viele Worte schreitet die Handlung dahin, die der Regisseur in großartigen Bildern und sehr eindringlich in Szene setzt.

Und dann waren da noch die Franzosen, die in Cannes abräumten: Die 46-jährige Juliette Binoche, Stammgast an der Croisette, wurde für ihre Rolle in «Copie Conforme» des Iraners Abbas Kiarostami zur besten Schauspielerin gekürt. In ihrer Dankesrede verwies sie auf das Schicksal des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der seit zwei Monaten in Teheran im Gefängnis sitzt.

Der französische Filmemacher und Schauspieler Mathieu Amalric erhielt die Auszeichnung für die beste Regie. In «Tournee» erzählt er von einem von ihm selbst gespielten erfolglosen Manager, der mit einer Truppe amerikanischer Tänzerinnen durch die französische Provinz tourt - auf der Suche nach seinem Platz im Leben. Bislang vor allem als Schauspieler («Schmetterling und Taucherglocke», «Ein Quantum Trost») bekannt und in Frankreich als solcher vielfach ausgezeichnet, ist der Preis in Cannes der erste große für den 44- Jährigen als Regisseur.

Ein alter Bekannter in Cannes ist auch der dritte ausgezeichnete Franzose: Xavier Beauvois. Für sein Drama «Des Hommes Et Des Dieux» um katholische Mönche in Nordafrika, die in schwere Gewissenskonflikte geraten, als Gewalt und Terror muslimischer Fanatiker ihr Kloster erreichen.

Mit dem Preis für das beste Drehbuch für «Poetry» des Südkoreaners Lee Chang-dong entschied sich die Jury dann doch noch für einen weiteren Nicht-Europäer - kamen doch die meisten der 19 Wettbewerbsbeiträgen aus außer-europäischen Ländern. Doch auch Lee ist ein Stammgast an der Croisette. So saß der Regisseur etwa im vergangenen Jahr in der Jury, war zuvor mit «Secret Sunshine» in Cannes vertreten.

Unterm Strich gewannen trotz des außergewöhnlichen thailändischen Siegerfilms unter dem experimentierfreudigen Jury-Präsidenten Burton vor allem die üblichen Verdächtigen mit massentauglichen Filmen und Rollen bei dem renommierten Festival an der Côte d'Azur.

Film / Festivals / Frankreich
24.05.2010 · 13:16 Uhr
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