Analyse: Demütiger Obama bekommt Nobelpreis

Washington (dpa) - Barack Obama bewegt sich in Oslo auf dünnem Eis, und er weiß es. Krieg und Frieden - beim US-Präsidenten liegt das nahe beieinander.

In der einen Woche ordnet er eine massive Eskalation des Afghanistankrieges an, schickt 30 000 weitere «Jungs» ins Feld, acht Tage später erhält er den renommiertesten Preis, der weltweit fürs Friedensstiften verliehen wird. Geht das, passt das zusammen? Die Dankesrede des «Kriegspräsidenten» an diesem Donnerstag (10. Dezember) in Oslo dürfte zum Balanceakt werden - doch rhetorisch heikle Aufgaben meistert der 48-Jährige bekanntlich meisterhaft.

Blick zurück: Als das Nobelpreiskomitee am 9. Oktober sein Votum bekanntgab, rieben sich selbst glühende Obama-Anhänger ungläubig die Augen. Die Medienleute im Weißen Haus waren derart überrumpelt, dass es ihnen für Stunden die Sprache verschlug. Die erste «Stellungnahme» bestand aus einem einzigen Wort: «Wow», schickte Sprecher Robert Gibbs einem TV-Sender per SMS. Als Obama sich später den Kameras präsentierte, vermittelte er den Eindruck, als wolle er sich für die Ehre entschuldigen: «Ich habe nicht das Gefühl, dass ich es verdiene.»

Auch in Europa gab es Unverständnis, Kopfschütteln und Kritik. «Zu früh!», «Naiv.» und «Kann Obama das jetzt überhaupt gebrauchen?» warfen Skeptiker ein. Obama erhalte den Preis «für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken», meinte der Vorsitzende der Nobelpreisjury, Thorbjörn Jagland. Kritiker meinen, das Schlüsselwort heißt «Bemühungen» - und gut gemeint bedeute längst nicht immer gutes Gelingen.

«Was hat Obama denn eigentlich geleistet?» fragt auch der Vorsitzende der US-Republikaner, Michael Steele. Auch zwei Drittel der Amerikaner sind nach einer aktuellen Umfrage der Meinung, dass Obama den Friedensnobelpreis nicht verdient. Nur 26 Prozent meinen in der Befragung der Quinnipiac Universität im Bundesstaat Connecticut, er bekomme die Auszeichnung am Donnerstag in Oslo zu Recht überreicht.

Kein Zweifel: Obama - noch nicht mal ein Jahr im Amt - kann auf kein eigenes «Werk» verweisen, auf keinen triumphalen Friedensschluss, auf keinen Bruderkuss mit einem einst Verfeindeten. «Er steht für ein Versprechen, und ich bin sicher, dass er alles versucht, um dieses Versprechen zu erfüllen», meint Friedensnobelpreis-Kollege Elie Wiesel nicht ohne kritischen Unterton.

Tatsächlich hat Obama in seiner kurzen Zeit im Weißen Haus Einiges angestoßen, hat Visionen und neue Horizonte aufgezeigt: In einer als historisch eingestuften Rede in Kairo reichte er der muslimischen Welt die Hand, in seiner Prager Rede warb er für eine Welt ohne Atomwaffen, er verzichtete sogar auf die geplante Raketenabwehr in Tschechien und Polen.

Vor allem aber: Sein Ton ist anders - ganz anders - als unter seinem ungeliebten Vorgänger George W. Bush. Bush sprach vorzugsweise vom «Krieg gegen den Terror», Obama spricht von einer «neuen Ära des Friedens», Bush brandmarkte «Schurkenstaaten», Obama signalisiert sogar Bereitschaft, sich mit den politischen Führern in Teheran und Havanna an einen Tisch zu setzen. Vor allem sieht Obama seine Verbündeten nicht als Vasallen, sondern als Partner. «Alles, was seit Obamas Amtsantritt geschehen ist», sei «mehr als genug», um den Nobelpreis zu rechtfertigen, wehrt sich Jagland gegen Kritik.

Doch es gibt auch die andere Seite Obamas: In Afghanistan setzt er, trotz anderer Vorschläge im eigenen Lager, auf den Erfolg einer militärischen Eskalation. Menschenrechtlern stieß es sauer auf, dass Obama unlängst nicht mit dem Dalai Lama sprechen wollte - mit der Begründung, dies würde Peking vergrätzen. Und auch unter das Abkommen zur Ächtung der grausamen Landminen hat Obama noch immer nicht seine Unterschrift gesetzt. Die deutsche Friedensbewegung nennt den Preis für Obama denn auch einen «kolossalen Fehlgriff».

Allerdings: In der US-Öffentlichkeit hat der Nobelpreis weitaus weniger Bedeutung als etwa in Europa. Konservative stufen das Nobelkomitee als eher linkes Gremium ein, das schon mit der Preisverleihung an die Demokraten Al Gore und Jimmy Carter Parteilichkeit bewiesen hat. Zu viel Beifall aus dem «linken Lager» aus Europa ist in den USA ohnehin verdächtig. Meint der liberale Kolumnist Thomas Friedman: «Das Nobelkomitee tat Präsident Obama keinen Gefallen, als es ihm den Friedensnobelpreis zu früh zuerkannte.» Friedman macht einen Vorschlag: Obama solle in Oslo den Preis stellvertretend für US-Soldaten akzeptieren, die in Kriegen für Freiheit und Demokratie gekämpft hätten.

Nobelpreise / International / USA
10.12.2009 · 22:54 Uhr
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