Analyse: Buhlen um Obama - oft vergeblich
Obama signalisierte mit seinem berühmt strahlendem Lächeln, dass es zwischen ihm und Kanzlerin Angela Merkel keinerlei Missstimmigkeiten gebe, die persönlichen und staatlichen Beziehungen seien «ausgezeichnet».
Diplomaten und US-Experten schildern ein etwas anderes Bild. Denn internationales Gerangel um Obamas Pläne gehört inzwischen ebenso zu Präsidentenreisen wie der organisatorische Alptraum für jeden Ort, den der wohl bestbeschützte Mann der Welt besucht. Dresden war da keine Ausnahme. Auch die sächsische Metropole befand sich im Ausnahmezustand - ähnlich wie am Vortag das ungleich größere Kairo.
Obama lächelte in Dresden seltener als sonst. Er war sichtlich bemüht, dass vor allem Bilder der Ernsthaftigkeit von der Stippvisite in Deutschland entstehen. Denn im Mittelpunkt standen für das Weiße Haus weniger das Treffen mit Merkel oder gar die Rundgänge in der Frauenkirche und im Grünen Gewölbe, sondern der Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald und später bei den verwundeten Soldaten im US-Militärkrankenhaus von Landstuhl. Weitergehende Wünsche des Kanzleramts hatte das Weiße Haus mit Bestimmtheit zurückgewiesen.
Obama durfte in den gut vier Monaten seiner Amtszeit schon ein etwas ernüchterndes Geheimnis der Großen dieser Welt kennenlernen: ihr Buhlen um den Größten unter ihnen, eben den Präsidenten der Supermacht und den «Rockstar» unter den Politikern. Schon vor seiner ersten Europareise gab es nach Schilderungen europäischer Diplomaten «ein wildes Gerangel» um exklusive Treffen mit dem charismatischen Obama.
Bei den Gipfeln im April in London (G20), Straßburg/Kehl (NATO) und Prag (EU/USA) sowie in Istanbul hatte Obama gerade mal Zeit für 14 bilaterale Begegnungen - fast zwei Dutzend Staatschefs gingen leer aus, unter ihnen Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der trotz heftigen Werbens keinen Termin bei Obama bekam. Auch Merkel soll mit der für sie bemessenen Gesprächszeit nicht zufrieden gewesen sein.
Obwohl auch in Dresden spürbar war, dass die «Obamania» der Menschen und Medien kaum nachgelassen hat, gibt es in den Hauptstädten Europas manchen Frust über die Eigenheiten des jungen Präsidenten. Den ohnehin innenpolitisch angeschlagenen britischen Premierminister Gordon Brown vergrätzte Obama jetzt mit seinem Bemühen, doch noch Königin Elizabeth II. zu den Invasions-Feierlichkeiten in die Normandie einladen zu lassen. Es war nicht das erste Mal, dass sich London von Obama brüskiert fühlte.
Gastgeber Nicolas Sarkozy soll US-Berichten zufolge ziemlich verstimmt sein über den Zeitplan Obamas in Frankreich, der trotz zweier Übernachtungen in Paris - und dann noch mit Frau Michelle und den beiden Töchtern - kaum Zeit für den französischen Präsidenten lässt. Auch in Berlin hatte man andere Vorstellungen über den Obama-Besuch: Der US-Präsident aber wollte vor allem keine Bilder aus Dresden mit einem Bad in der Menge.
Einen ganz anderen Stellenwert hat für die Amerikaner der Besuch im ehemaligen Nazi-Todeslager Buchenwald, der ebenso wie die Feiern in der Normandie an die Schrecken der Unfreiheit, die Bedeutung der US-Befreier und des «gerechten Krieges» gegen Tyrannen erinnern soll. Zudem schickt die symbolträchtige Visite wichtige Signale nach Israel und an die kriegsmüden Landsleute Obamas.
Obama sei zu den Europäern auch deshalb zunehmend spröde, weil er über ihre Nützlichkeit zunehmend ernüchtert sei, so der Ex-Spitzendiplomat Stephen Flanagan vom Politikinstitut CSIS in Washington. Konservative Politik-Institute wie die Heritage Stiftung (Washington) sprachen von «herben Enttäuschungen» für Obama bei den Gipfeln im April. Unbestritten gibt es trotz aller Begeisterung über Obama eine Reihe von politischen Differenzen, wenn nicht gar Gräben zwischen Washington und Europas Hauptstädten. Das gilt für die Themen Afghanistan, Iran, Konjunkturspritzen, die Guantánamo-Häftlinge, Russland, EU-Beitritt der Türkei oder Zukunft der NATO.
Obama weiß um seine Popularität, die in Europa laut Umfragen deutlich größer ist als in seiner Heimat. Allerdings hat ihm die Beliebtheit bisher politisch nicht viel eingebracht. Seine Popularität ändere nichts an den begrenzten Möglichkeiten der Europäer beispielsweise beim Waffengang in Afghanistan, sagte Obama jüngst sehr pragmatisch zum US-Radiosender NPR. Aber vielleicht werde sein Ansehen es einmal den politischen Führern Europas erleichtern, stärker auf die US-Politik einzugehen, meinte er. Noch befindet sich Obama in der Phase des «Zuhörens und Lernens». Seine Landsleute erwarten von ihm aber bald die Führung in der Welt. Dann wird es ernst in den transatlantischen Beziehungen.