Katzen, Hunde und Affen in Not

Wie Tiere für fingierte Rettungen in Gefahr gebracht werden

29. Dezember 2024, 07:30 Uhr · Quelle: dpa
Internet-Tiervideos sind beliebt, vielleicht zu beliebt: Für viele Videos werden Tiere in Gefahr gebracht, bis ein wundersamer Retter erscheint - und sich immer dabei filmen lässt. Merkwürdig, oder?

Hannover (dpa) - Hand aufs Herz - solche Videos dürften die meisten schon einmal in den sozialen Medien gesehen haben: In Plastiktüten verhedderte Hundewelpen, völlig apathische kleine Katzen, mit Schlangen kämpfende Äffchen. Tiere, die zu ertrinken drohen und verzweifelt schreien. Und immer kommt im letzten Moment ein Retter, der zufällig gefilmt wird. 

Millionenfach werden solche Videos aufgerufen, oft zustimmend und anerkennend kommentiert, manchmal wird sogar für die Aktion gespendet. Doch: Diese Videos sind oft inszeniert, die Rettung ein Fake. Nur die Not des Tieres ist echt.

Viele Tiere leben vermutlich nicht mehr

Denn auch wenn die vermeintliche Rettung eines Tieres gezeigt wird, wisse man nie, was mit dem betreffenden Tier geschehe, sagt Wiebke Plasse, Kommunikationschefin der Welttierschutzgesellschaft. «Man kann davon ausgehen, dass der Großteil der Tiere nicht mehr lebt.» 

Gerade bei Wesen, die verletzt und in besonders schlechtem Zustand seien, wenn der angebliche Retter erscheint, dürfte der Ausgangspunkt des Videos - der Blick auf das geschwächte Tier - «in Wirklichkeit der Endpunkt» sein. Und der Weg dahin ist für die betroffenen Tiere hart: Der kleine Welpe, der im Plastiknetz auf den Schienen festgebunden ist, schreit um Hilfe. 

Diese Tiere müssten erleben, dass sie von Menschen, denen sie eigentlich vertrauen, in «unfassbare Situationen gebracht werden», sagt Plasse. Es sei ein «Abgrund, von dem wir nicht erwartet haben, dass er existiert». Auch die Tierschutzorganisation Vier Pfoten warnt vor Fake-Videos und vermeintlichen Tierrettungen. 

Videos haben Millionenpublikum

Im Oktober veröffentlichte die Welttierschutzgesellschaft zusammen mit der Social Media Animal Cruelty Coalition (SMACC) einen Report zu inszenierten Tierrettungen - nach Angaben der Tierschützer die erste umfassende Analyse «dieser perfiden Form der Ausbeutung von Tieren für Klicks». Demnach erreichen die entsprechenden Videos ein Millionenpublikum. Ein relevanter Anteil davon ist inszeniert, indem Tiere absichtlich in Gefahr gebracht werden. 

Für den Report wurden mehr als 1000 Videos auf den Netzwerken Facebook, Youtube, Tiktok, Instagram sowie X analysiert. Darin werden Tiere vermeintlich verlassen gefunden, sie werden begraben, gefangen, ihre Gliedmaßen werden teils mit Ketten verschnürt oder sie sind kurz vor dem Ertrinken. Inszeniert werden Videos, in denen Tiere vor einem Angriff anderer Tiere gerettet werden. Es werden vermeintliche tiermedizinische Behandlungen gefilmt, bei denen Tiere wiederbelebt oder von unnatürlich vielen Parasiten befreit werden. 

Es gibt eine «Affenhasserszene»

Gequält werden vor allem Katzen, Hunde und Affen, aber auch Echsen. Ein Beispiel aus der «Affenhasserszene», wie Plasse sie nennt: Ein Affenbaby turnt herum, plötzlich fällt das kleine Tier ins Wasser, ohne dass ein Grund ersichtlich ist. Das Tierchen schafft es nicht, aus dem Wasser zu klettern und schreit in seiner Not - bis endlich die Mutter erscheint und hilft. 

Die ganze Zeit über wird der Kampf gegen das Ertrinken gefilmt - statt dass der Filmende dem Tier rasch selbst zur Rettung kommt. Die Täter aber hätten einen «ganz anderen Bezug zu Tieren», betont Plasse. Denn die Emotionalität beim Anblick von Tierleid nehme angesichts ständiger Wiederholung ab. 

Der SMACC-Report zeigt, dass die inszenierten Videos eine immense Reichweite haben - 600 der untersuchten Videos kamen auf insgesamt 500 Millionen Aufrufe. Und die Nutzer erkennen oft nicht, dass es sich um einen Fake handelt und unterstützen die Videos mit Klicks. Stattdessen rät Plasse: Nicht klicken, nicht teilen, nicht kommentieren - sondern melden. 

Es geht ums Geld

Erst ging es den Videoproduzierenden um Reichweite und darum, als Held und Retter gefeiert zu werden, wie Plasse erklärt. Inzwischen werde Werbung dazu eingeblendet und das bringe Geld, auch würden Spenden eingeworben. «Der Geldwert ist die große treibende Kraft.» 

Summen sind schwer zu schätzen, aber eine Studie einer SMACC-Mitgliedsorganisation von bereits 2020 mit rund 2000 Fake-Rettungs-Videos ergab allein auf YouTube potenzielle Einnahmen von bis zu 15 Millionen Dollar. Plasse spricht daher von einer «neuen Form des Gelderwerbs.»

Trotzdem stellt sich die Frage: Warum machen Menschen so etwas? Theresa Müschner-Siemens, Tierärztin der Welttierschutzgesellschaft, geht davon aus, dass es neben dem finanziellen Aspekt manchen Menschen um die Aufmerksamkeit geht, die man mit extremen Inhalten erregen kann. 

Letztlich führe dies dazu, dass Menschen, die Tiere quälerisch behandeln, Probleme und Nöte hätten, diese «als fühlende Wesen mit eigenen Bedürfnissen wahrzunehmen», sagt Müschner-Siemens. Und auch die Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Netzwerken gewöhnten sich an die Darstellung von Tierleid - und nehmen dieses nicht mehr als solches wahr. 

Was lässt sich dagegen tun?

«Die Verrohung der Gesellschaft ist auch, was wir verhindern wollen», sagt Plasse. Die Tierschützer sprechen sich dafür aus, die Darstellung und Verbreitung grausamer Gewalttätigkeiten an Tieren zu verbieten - und dazu Tiere in den Paragrafen 131 des Strafgesetzbuchs aufzunehmen. Bislang ist dort nur die Rede von «Menschen oder menschenähnliche Wesen». Eine entsprechende Petition habe schon über 200.000 Unterschriften erhalten.

Auch Spaß-Videos können Tierqual zeigen

Nicht nur Fake-Rettungen beuten Tiere quälerisch aus. An der Tierärztlichen Hochschule Hannover befasste sich eine Untersuchung mit vermeintlich lustigen Videos, die kostümierte Tiere, Missgeschicke oder sogenannte Challenges zeigen, was Tiere ebenfalls unter Stress setzt. 

Über 3.200 Menschen wurden dazu online befragt - und 98,5 Prozent gaben an, schon mit solchen Inhalten konfrontiert worden zu sein. Aber nur 46 Prozent sagten demnach, sie hätten Tierleid erkannt, wie Tierärztin Michaela Fels, Wissenschaftliche Assistentin an der Hochschule, berichtet. 

Das zeigt: Es ist nicht immer leicht, Tierquälerei zu durchschauen - oder auch Fake-Rettungen zu erkennen. Zumal sich die vermeintlichen Helden den echten immer mehr annäherten - indem sie laut Plasse etwa Shirts mit entsprechenden Aufschriften tragen. 

Was helfen kann: Echte Tierretter konzentrierten sich laut der Expertin auf die Rettung, nicht auf möglichst perfekte Kameraführung. Das bedeutet wohl: Sie machen weniger Aufhebens um sich, bleiben eher unbekannt - und ziehen dafür immer wieder Krötenzäune oder retten Rehkitze von Äckern.

Tier / Internet / Wissenschaft / Niedersachsen / Deutschland / International
29.12.2024 · 07:30 Uhr
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