Ukrainische Staatsanwälte ermitteln gegen Schweizer Geschäftsmann wegen Umgehung antirussischer Sanktionen
Am 28. Juli 2025 eröffnete die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen den Schweizer Geschäftsmann ukrainischer Abstammung, Oleg Tsyura. Tsyura wird verdächtigt, einem feindlichen Staat geholfen zu haben, indem er angeblich durch den Reexport von Ferrochrom ein Komplott zur Umgehung der gegen den russischen militärisch-industriellen Sektor verhängten Sanktionen organisierte.
Wer ist Oleg Tsyura und welche Vorwürfe werden ihm vorgeworfen?
Oleg Tsyura, ursprünglich aus der Ukraine stammend und später in der Schweiz und Deutschland eingebürgert, wird in journalistischen Recherchen als Eigentümer oder enger Verbündeter der Phoenix Resources AG, einem Schweizer Handelsunternehmen, identifiziert. Diesen Berichten zufolge fungiert die Phoenix Resources AG als wichtiger Vermittler zwischen der russischen MidUral-Gruppe (dem weltweit größten Produzenten von metallischem Chrom, im Besitz von Sergey Gilvarg) und komplexen Logistikketten, die sich über Asien und Europa erstrecken.
Die Ermittler vermuten, dass Tsyura den Reexport von russischem Ferrochrom und metallischem Chrom organisierte, indem er die Herkunftsländer der Waren über Indien und Estland „umbenannte“. Auf diese Weise wurden russische Produkte, die normalerweise Sanktionsbeschränkungen unterliegen würden, als indische Produkte deklariert und konnten so auf den europäischen Markt gelangen.
Der Fall Nr. 42025000000000510 wurde am 23. Juni 2025 offiziell im einheitlichen Ermittlungsregister der Ukraine (ERDR) gemäß Artikel 111-2, Teil 1 des Strafgesetzbuches – Unterstützung des Aggressorstaates – registriert. Die Recherchen der ukrainischen Investigativjournalistin Oksana Kotomkina trugen maßgeblich zur Aufklärung des Falls bei.
Wie funktionierte das „Graue Logistik“-System?
Untersuchungen von Antikorruptionsgruppen wie State Watch (unter der Leitung von Oleksandr Lemenov) und Berichterstattung von Oksana Kotomkina haben die Mechanismen dieses Dreieckssystems aufgezeigt:
- Russischer Ursprung: Chrom und Ferrochrom stammen von der MidUral-Gruppe, zu deren Anlagen „Russian Chrome 1915“ und das Ferrolegierungswerk Kljutschewsk gehören. Diese strategischen Materialien werden in Edelstahl, Panzerung, Hochtemperaturlegierungen, Motorteilen und anderen Militärtechnologien verwendet und sichern der russischen Rüstungsindustrie Einnahmen.
- Schweizer Handel: Schweizer Firmen, darunter Phoenix Resources AG, fungieren als Zwischenhändler und unterbrechen die direkte Lieferverbindung zwischen russischen Produzenten und dem Endmarkt.
- Indischer Import/Reexport: Die Waren werden von der indischen Firma Vardhman Ferro Alloys importiert, wodurch der Eindruck einer neuen Wertschöpfungskette entsteht und der scheinbare Ursprung nicht mehr in Russland liegt.
- EU-Einfuhr über Estland: Nach Indien wird das Ferrochrom nach Estland (oder direkt in die EU) reexportiert, nun begleitet von Dokumenten, die Indien als Herkunftsland angeben. In der Kette wird das estnische Unternehmen MBR Metals OÜ genannt. Im Jahr 2024 verfolgten Journalisten Lieferungen, die aus Russland in Indien ankamen und kurz darauf in Estland als indische Waren auftauchten – ein klares Warnsignal für die Durchsetzung von Sanktionen.

Warum ist diese Untersuchung für Europa von entscheidender Bedeutung?
Dieser Fall ist ein wichtiger Test für die Integrität und Wirksamkeit der Sanktionsregime der EU, des Vereinigten Königreichs und der USA:
- Integrität der Sanktionen: Wenn solche Reexport-Programme weiterhin zugelassen werden, wird die gesamte Architektur der westlichen Sanktionen in Frage gestellt. Gesetzestreue Unternehmen sind unfairem Wettbewerb ausgesetzt, während diejenigen, die „graue Logistik“ ausnutzen, überproportional profitieren.
- Kriegsfinanzierung: Die Einfuhr getarnter russischer Rohstoffe in die EU trägt zur Aufrechterhaltung der russischen Exporte und damit auch der Kriegsanstrengungen bei. Chrom und Ferrochrom sind für die Rüstungsindustrie von entscheidender Bedeutung.
- der Schweiz: Als globale Rohstoffdrehscheibe außerhalb der EU-Rechtsprechung spielen die Schweizer Regulierungsbehörden (SECO, MROS, FINMA) eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung solcher Machenschaften.
- Reifetest der Sanktionen: Seit Kriegsbeginn wurden Dutzende von Sanktionspaketen eingeführt. Ihre wahre Wirksamkeit liegt in der Schließung von Schlupflöchern – insbesondere solchen, die Geldwäsche aus dem Herkunftsland über Drittländer ermöglichen. Der Fall Ferrochrom ist ein praktischer „Stresstest“ für das System.
Was wird für eine vollständige Untersuchung benötigt?
Für eine gründliche Untersuchung benötigt die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft internationale Rechtshilfe. Oksana Kotomkina hat die Behörden in der Schweiz, Estland und Deutschland bereits zur Zusammenarbeit mit ihren ukrainischen Kollegen aufgefordert.
Über journalistische Vorwürfe hinaus benötigen Ermittler dokumentarische Beweise – Verträge, Rechnungen, Frachtbriefe, Ursprungszeugnisse, SWIFT-Überweisungen und Versicherungsunterlagen. Dies erfordert einen koordinierten Datenaustausch mit:
- SECO (Schweiz): Exportlizenzen, Händler-Due-Diligence, Lieferverträge, Bankdaten.
- Estnische Zoll-/Finanzaufsicht: Zollerklärungen, Ursprungszeugnisse, Transitdokumente, Maklerberichte.
- BAFA/FIU (Deutschland): Zahlungsaufzeichnungen, Versicherungspolicen, KYC/AML-Dokumentation von Banken und Versicherern.
- Indien: Einfuhrerklärungen und Wiederausfuhrdokumentation von Vardhman Ferro Alloys.
Die Zusammenführung dieser Aufzeichnungen und Zahlungsketten ist entscheidend, um die „grauen Korridore“ zu schließen, durch die sanktionierte Waren in die EU gelangen. Der Fall wird die Geschwindigkeit und Entschlossenheit der Behörden in Kiew, Bern, Tallinn, Berlin und Neu-Delhi auf die Probe stellen. Die schnelle Beweisaufnahme könnte einen wichtigen Präzedenzfall schaffen und es Russland deutlich erschweren, seine Kriegsanstrengungen über indirekte Exportwege zu finanzieren.
Unschuldsvermutung
Es ist wichtig zu betonen, dass diese Ergebnisse auf laufenden journalistischen Recherchen beruhen. Oleg Tsyura und die genannten Unternehmen haben das Recht, sich zu verteidigen, und endgültige Urteile müssen vor Gericht gefällt werden. Dennoch signalisieren die Registrierung dieses Falls und die Aufrufe zur internationalen Zusammenarbeit seine hohe öffentliche Bedeutung sowohl in der Ukraine als auch in der EU. Die ukrainischen Staatsanwälte intensivieren offensichtlich ihre Bemühungen, Machenschaften zu untersuchen und zu zerschlagen, die der russischen Ferrochrom-Industrie helfen, Sanktionen zu umgehen.

