Sri Lanka: Ein Reporter erinnert sich

Hamburg/Colombo (dpa) - 28. Dezember 2004: Zwei Tage nach dem verheerenden Tsunami lande ich mit einem Hilfsflug des Deutschen Roten Kreuzes auf dem Flughafen von Sri Lankas Hauptstadt Colombo. An Bord sind Rettungstrupps mit Suchhunden, die im Wettlauf mit der Zeit nach Verschütteten graben wollen.

In der Ankunftshalle erwartet uns ein Bild, das angesichts der Katastrophen-Nachrichten verwirrt: Bunte Lichterketten, ein blinkender Rentierschlitten, Weihnachtsstimmung. Doch nur wenige Kilometer südlich der Hauptstadt, entlang der großen Küstenstraße, herrscht blanke Verzweiflung. Besonders hart getroffen hat es die Ärmsten, die Strandbewohner. Sie haben nicht nur ihre letzte Habe, sondern häufig auch Freunde und Verwandte verloren.

Mit einem geliehenen Kleinbus fahren der Leipziger Fotograf Peter Endig und ich in Richtung Süden - und in kürzester Zeit ändert sich das zunächst friedliche Bild: Nur noch wenige Steinhäuser stehen an der Küstenstraße, hunderte Holzbaracken wurden oft mitsamt ihrer Bewohner ins Meer gerissen. Trümmer liegen zu großen Haufen angespült am Strand. Die 48-jährige Sawerer Fernado wühlt in den Überresten. «Es war noch Geld hier, außerdem brauchen wir Geschirr», klagt sie. Doch es ist nichts Verwertbares mehr zu finden. Ein paar Meter weiter harrt der 26-jährige Indika Fernando wie alle Bewohner der Siedlung im strömenden Regen bei den Trümmern seines Hauses aus. «Wir können hier nicht weg», sagt Fernando. «Sonst kommen andere und besetzen den Platz, Bauholz gibt es ja hier genug», fügt er bitter hinzu.

Besonders hart getroffen hat es die Provinzhauptstadt Galle an der Südspitze der Insel. Vor uns liegt die gesamte Innenstadt als ein einziges Trümmerfeld. Zwei Tage nach der Katastrophe breitet sich zwischen den Schuttbergen ein alles durchdringender Verwesungsgeruch aus. Zu viele Opfer liegen noch unter den Trümmern. Ein Haus an der Küste ist in der Mitte zerteilt - als hätte es eine riesige Axt getroffen, die Außenwände stehen noch.

In den zerstörten Gassen wimmelt es von Menschen, die zwischen den Steinen, verbeulten Wellblechdächern und umgestürzten Strommasten nach Verwertbarem suchen. Der 45-jährige Tandra Soma kniet inmitten durchweichter Habseligkeiten. Sieben nahe Verwandte hat er verloren: «Meine Frau, meine Eltern, drei Geschwister und eine vierjährige Nichte sind tot», berichtet er niedergeschlagen. Von seinem Haus blieben nur ein Haufen Fliesensteine und ein abgerissener Stromzähler. «Wie sollen wir hier wieder anfangen zu leben?» fragt er verzweifelt. Der 26-jährige Azhar Zanzad zeigt mir Fundstücke aus den Trümmern, die er in einem Jutesack gesammelt hat: Einen Ventilator, das Rücklicht eines Motorrollers und zwei Türscharniere.

Eine grausige Szene bietet sich uns am Straßenrand: Dort liegt die nur halb zugedeckte Leiche eines Kleinkindes. Die Menschen hasten achtlos vorbei, jeder ist nur mit der Jagd nach dem Notwendigsten zum Überleben beschäftigt. Erst Stunden später wird das kleine Flutopfer vom Leichensammler, der regelmäßig seine Runden dreht, auf den Anhänger des Lasttraktors geladen. Auf einer Wiese neben dem Stadion werden die geborgenen Wasserleichen gelagert. Gerichtsmediziner entnehmen Gewebeproben, um die Toten später vielleicht identifizieren zu können.

Überall fließt aus zerborstenen Leitungen verunreinigtes Wasser, das den Menschen aber nicht hilft. Und so stehen Tag für Tag tausende Menschen an der Küstenstraße und winken verzweifelt mit leeren Wasserflaschen. Denn das Meerwasser hat die Brunnen verseucht, selbst den verteilten Reis können die Menschen mit dem Brackwasser nicht kochen. Private Spender schicken immer wieder Tankwagen mit Wasser aus den Bergregionen ins Notstandsgebiet.

So fährt Sisira Gunawardana täglich auf eigene Kosten hunderte Kilometer, um die Menschen mit Trinkwasser zu versorgen. Er kommt aus Ratna Pura, wo er das Wasser aus einem Bergloch schöpft. Zwei Tanks mit insgesamt 3000 Litern hat er auf der Ladefläche. Wenn er stoppt, bilden sich sofort lange Schlangen von Menschen. Dennoch müssen tausende Menschen mit einem Liter Frischwasser am Tag auskommen.

Zu Neujahr wird der Verwesungsgeruch entlang der Küste schier unerträglich. Hunderte Soldaten durchkämmen die Palmenhaine und das Gebüsch hinter der Strandlinie auf der Suche nach Leichen. Doch am ersten Tag des Jahres gibt es auch schon Anzeichen eines Neubeginns. Fischer holen die Netze aus ihren an Land gespülten und meist schwer zerstörten Kuttern, um sie zu reinigen. In Galle fegen die Inhaber den Schlamm aus nicht-zerstörten Hotels und Geschäften. «Wir wissen noch nicht, woher wir das Geld nehmen sollen, um das alles wieder herzurichten», sagt Lakwhitatha Senaratne, der mit seinem Onkel zusammen einen Imbiss direkt im Zentrum betreibt. «Aber wir wollen wenigstens schon mal anfangen.»

Zehn Tage nach der großen Flut endet unsere Reportagereise. Wir haben Glück: Wir können in unsere Heimat zurückfliegen. Auf einem Zwischenstopp in München kommt ein Dutzend Notfallseelsorger an Bord. «Möchten Sie über das Erlebte sprechen», fragt mich ein Helfer. Ich schüttele den Kopf - offenbar hatte ich als Reporter den Vorteil, dass ich mir das alles direkt von der Seele schreiben konnte.

Katastrophen / Tsunami
26.12.2009 · 22:13 Uhr
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