Spielkonsolen und Heimcomputer: Interview mit Winnie Forster
Wie wurde die Idee geboren, ein umfassendes Nachschlagewerk über Videospielkonsolen und Heimcomputer zu schreiben?
Wie die meisten Ideen: Das Werk entstand aus der Lücke. Ich wollte ein Computer- und Videospiel-Nachschlagewerk und Geschichtsbuch, das die Entwicklung des Mediums chronologisch darlegt, global berücksichtigt (nicht auf Deutschland oder EU beschränkt), gleichzeitig Info-dicht, textlich spannend und visuell ansprechend ist.
Damit das Thema nicht ausufert, benötigte ich einen starken Rahmen und beschloss, die Geschichte des Videospiels nicht anhand der Software oder ihrer Schöpfer, sondern anhand der Hardware zu erzählen – von Apple 2, Atari und Commodore, über Sega, Game Boy und PlayStation bis in die HD-Gegenwart. Folgt man dem Auf und Ab der Geräte und Plattformen, erhält man ein gutes Bild von dem, was Videospieler in den letzten Jahrzehnten erlebten und bewegte. Um’s möglichst einfach zu halten, sollte das Buch der „Spielkonsolen und Heimcomputer“ ursprünglich nur hochwertige Hardware-Fotos zeigen, andere Videospiel-Aspekte nicht berücksichtigen. Doch während der Entwicklung des Buchs schlichen sich mehr und mehr Sprites und Pixel ein, die Layouts wurden komplexer, die Texte tiefer. Letztendlich entstand ein Buch, das Spiele und Software ebenso wie die Hardware feiert.
“Wer ‘Spielkonsolen…’ schnell, nicht schmökernd, durchblättert, erlebt die Games-Evolution im Zeitraffer – aus den Strichmännchen der ersten Seiten werden 32-Farben-Sprites und scrollende Hintergründe schließlich hochauflösend gerenderte Helden und Spielwelten.”
Selbst ein dicker Wälzer wie dein Werk kann natürlich nicht sämtliche Systeme der Welt erfassen. Wie bist du bei der Auswahl der Geräte vorgegangen?
Zur ersten Auflage 2002 war das knifflig – für drei prall gefüllte Computer- und Konsolen-Dekade standen nur 140 Seiten zur Verfügung. Klar musste schon das dünne, erste Buch alle Klassiker erfassen – Atari VCS, Brotkasten, Amiga, Sega- und Nintendo-Konsolen etc. Viele der durchaus interessanten, aber weniger erfolgreichen Plattformen der 70er-, 80er- und 90er-Jahre erhielten damals noch keine eigenen Kapitel, sondern wanderten – oft ohne Foto – in den „Exoten“-Anhang.
So war von Anfang an klar, dass die 2002-Auflage nicht das letzte Wort bleibt, sondern auch Hardware wie die japanischen Super-Computer X68000 und Fujitus FM Towns, westliche Proto-PCs wie Commodores Pet-Serie, Ur-Konsolen wie das Fairchild Channel F oder das Epoch Cassettevision, ebenso Technik-Exzentriker wie das Entex Adventurevision usw. ins Fachbuch gehören – ebenso natürlich alle Geräte, die nach 2002 erschienen.
Seitdem wuchs jede Auflage nicht nur „hinten“, sondern schloss auch im vorderen Buchteil, in den 8-, 16- und 32-Bit-Jahren, ein paar Lücken: “Spielkonsolen…2005″ sprang kräftig erweitert auf 224 Seiten, die 2009-Auflage hatte 240. Zwischen ihr und dem 264-seitigen 2015-Buch liegt eine 248-seitige Zwischenstufe, die es nur in Englisch gibt. Die “Encyclopedia of Game.Hardware”, die Heinrich Lenhardt 2012 in Kanada herausgab, war die erste Auflage mit iOS-Kapitel. Letzteres wiederum erweiterten und aktualisierten wir für die deutsche Neuauflage – kurz: Die „Auswahl der Geräte“ ist nie abgeschlossen, sondern ein laufender Prozess.
Was hat sich seit der letzten Ausgabe getan? Um welche Kapitel wurde das Buch erweitert?
Komplex ist jeweils die Erweiterung am Ende des Buchs: Zum einen wachsen bestehende Kapitel (im aktuellen Fall z.B. PS2, PSP, PS3), um die letzten sechs, sieben Jahre abzufangen, zum anderen kommen neue Schlusskapitel hinzu. Die letzte Ära “Das High-Definition-Zeitalter” umfasste 2009 lediglich drei Plattformen und wird 2015 mit zehn Kapiteln abgeschlossen. Neu hinzu kamen Apple iPhone & iPod Touch, Nintendo 3DS, Sony PS Vita, Nintendo Wii U, PlayStation 4 und Microsoft Xbox One, außerdem ein Spezialkapitel zu den Mikro- und Download-Konsolen der letzten fünf Jahre.
Wegen der neuen Systeme mussten wir auch die technischen Tabellen erweitern, fügten in die 8-Bit- und 16-Bit-Äras des vorderen Buchteils endlich das schmerzlich vermisste Bally-Astrocade-Kapitel ein (den missing link zwischen der 70er-Jahre-Flipper-Szene und dem Silicon Valley) und den „halben 16-Bitter“ QL, das letzte Werk des britischen IT-Zauberers Sir Clive Sinclair. Sowohl vorne im Buch als auch hinten bei den “Exoten” haben wir Kapitel erweitert, bislang fehlende Fotos produziert, viele Details sowie alle Fehler, die Leser und wir in den letzten Jahren fanden, verbessert. Viel Feinschliff, der länger dauerte als alle Beteiligten erwarteten …
Welche Projekte stehen für dich und den Gameplay-Verlag an?
Mit der Auslieferung von „Spielkonsolen…2015“ rückt redaktionell wieder das dritte Buch der Gameplan-Hauptreihe, Arbeitstitel „Software“, in unseren Focus: Das lang erwartete „Spiele-Buch“ von Gameplan wird nicht mehr in diesem Jahr, sondern erst Ende 2016 erscheinen.
Zwei weitere ungelegte Eier, über die wir noch nicht viele Worte verlieren, haben die Arbeitstitel GPS und GPJ, wobei – so viel sei verraten – das „S“ für einen bekannten Spielehersteller, der letzte Buchstabe wiederum für „Japan“ steht. GPS wird eher ein Bilder-, GPJ ein Text-lastiges, ein Lese-Buch.
Wenn du selbst einmal durch die neue Ausgabe von „Spielkonsolen und Heimcomputer“ blätterst, welche Systeme liegen dir persönlich sehr am Herzen?
Obwohl ich mich selbst nicht als Hardware-Fetischist bezeichne (interessanter ist Software), fällt mir beim Blättern auf, dass ich zu den meisten der beschriebenen Konsolen und Rechnern eine Beziehung habe: Einige besaß ich selbst während Kindheit und Jugend, andere verbinde ich mit bestimmten Cliquen und Menschen, mit Moden, Kampagnen, Lebens- und Zeitabschnitten. Spiele ich retro, dann am ehesten auf einer der ROM-Plattformen – PC-Engine, SNES, Mega Drive – oder auf einer japanischen Ur-PlayStation.
Auf welchen Geräten spielst du derzeit am liebsten?
Abgesehen von den genannten? Wii U und z.B. “Mario Kart” laufen, wenn viele Spieler am Start sind, und meist die PlayStation 4, wenn ich alleine zocke, ballere und Zombies jage.
Was wird, deiner Meinung nach, das nächste große Ding der Videospielgeschichte werden?
„Echtzeit-Simulation“, “Totale Vernetzung”, “von PAL auf Full-HD” und andere Technik-Themen sind abgeschlossen, jetzt erwacht “Virtual Reality” aus Jahrzehnte-langem Dornröschenschlaf. Zwei unterschiedliche VR-Konzepte der 80er- und 90er-Jahre werden nun – da Chips und Komponenten klein, erschwinglich, in Massen verfügbar geworden sind – hervorgekramt: „Immersion“ erfüllt den Wunsch, mitten und mit allen Sinnen im Spiel zu sein, durch Rundumbild, Stereoskopie, Raumklang und Headtracking (das wohl bald zu Eye Tracking wird) und wird als Kombi aus Kameras/Sensoren und Datenbrille (HMD) angeboten.
“Nachteil: Immersion macht blind und asozial. Dagegen verspricht “Augmented Reality” die Verschmelzung der echten Umgebung (Schreibtisch, Wohnzimmer, Nachbarschaft) mit digitalen Elementen und Figuren – diesen Trend sieht schon die 2009-Gameplan-Ausgabe voraus.”
Physisches Spielzeug wie die „Skylanders“ erobert digitale Spielwelten, umgekehrt holen Microsoft u.a. Hardware-Majors digitale Figuren und Pixel in unsere echte, physische Umgebung. Das nächste Gameplan-Buch, die Ausgabe 1972 – 2022, wird bereits geschrieben…
The post Spielkonsolen und Heimcomputer: Interview mit Winnie Forster appeared first on Next Gamer.
